Abenteuer in gespenstiger Sennhütte

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Unter den entlegenern Alpen hinter Escholzmatt gab es eine, die lange Zeit geflohen und verrufen war. Einen jungen, kampfrüstigen Mann, der in jene Gegend gelangte, mahnten die Leute in der Nachbarschaft ernstlich davon ab, über gewisse Grenzen zu schreiten, oder gar die Sennhütte dort zu betreten, denn so viele den Versuch gewagt und hingegangen seien - keinen habe man je wieder gesehen, sie müssten sämtlich des Todes geworden sein. Man sah, dass in der geheimnissvollen Alp Sennenwirtschaft betrieben werde; man sah, wie morgens eine Herde ausgelassen, abends heimgetrieben werde; man sah vom Hüttendach den Rauch aufsteigen, wie wenn wirklich daselbst jemand hause, die Mahlzeiten bereite, Käse, und was immer das Sennen mit sich bringt, beschaffe. Aber nie sah man einen Menschen zum Vorschein kommen, unsichtbar blieben stets die Kräfte, die diese Alp bewirteten. Wer mag doch dort drüben der seltsame Bewohner sein? Welches Geheimnis birgt diese Hütte? Über diese Frage wollte und musste der kühne Mann Licht gewinnen, die Ruhe seines Lebens schien ihm davon abhängig. Flehentliches Abmahnen goss nur Öl ins Feuer, er hatte keine Furcht, nur Siegeszuversicht. Bangen Herzens schauten ihm die Leute nach, sie hielten ihn für verloren; sie erbarmte der schöne, wackere Bursche.

Er ist bei der Hütte, aber Totenstille herrscht. Er geht vor die Fenster und ruft, niemand lässt sich sehen oder hören. Er geht an die Türe, probiert leicht sie zu öffnen, sie springt auf und er setzt frisch den Fuss über die Schwelle. Noch wankt der Boden nicht unter ihm. Sicher tritt er auf, fest schaut er um sich. Hm, er ist in der Küche, auf dem Herd brennt ein Feuer; drüber hängt zum Käsen gerüstet der Kessel. Er ruft dem Sennen, aber kein Laut unterbricht das unheimliche Schweigen. Jetzt tut er, als ob er den Gäumer hinter dem Kessel im Herdwinkel versteckt glaube. „Ja, du dort hinten, du schreckst mich nicht, komm nur hervor." Beim Nachsehen ist aber niemand hier. Vielleicht dass drinnen, dort, wo die Türe angebracht ist, ein Hausbewohner zu finden wäre. Versucht es zu öffnen - und eine hübsche Stube nimmt den Hereintretenden auf. Der Tisch ist mit Tellern, Besteck und Speisen bereits aufgerüstet. Auf der Seite steht ein schönes Bett mit einem Vorhang davor. Aber kein lebendes Wesen will zum Vorschein kommen. Für wen denn diese Tafel? - „Wart“ - denkt nun der Nachforschende,- „ich will sie gewis entdecken." Damit huscht er ins Bett und zieht den Vorhang so, dass er von da aus unbemerkt, wie er glaubt, sehen und beobachten könne, was am Tische denn vorgehen, wer da kommen soll. Endlich tritt eine gewaltige, zum Schauder anregende Gestalt herein. Die wüste Figur hat wohl einen Kopf, aber ein menschliches Antlitz will nicht daran hervortreten. Jetzt zählt er die Teller auf dem Tische und ruft dann aus mit furchtbarer Stimme: „Das Totengericht ist fertig; nur ein Teller fehlt noch, für denjenigen, der dort im Bette liegt!" Der Waghals ist also entdeckt.- Ist  er des Todes? Warum nicht, schon schreitet das Gespenst auf ihn los, packt ihn am Arm - ach wie brennt das! Und horch, es spricht plötzlich in ganz anderm, unerwarteten Ton: „Fürchte dich nicht; ich will dir dein Leben lassen, will dir unaussprechlich dankbar sein, wenn du mich erlösest. Aber freilich, die Bedingungen sind sehr schwer. Ich fürchte! Nur ein Haar zu viel oder zu wenig stürzt dich unrettbar in den Tod und mich in neue Qual!" So der Geist. Der herzhafte Gast, auf alles gefasst, wankte nicht in seinem Entschlusse alles zu wagen, was zum freudigen Ausgang führen könne und anerbot sich gleich zu den gefährlichen Proben. „Steh' auf!" Er gehorcht. Das Gespenst heisst ihn an den Tisch herantreten und mitessen. „Ich habe nicht eingebrockt und brocke nicht aus!" Drauf brachte der Geist Schaufel, Licht und ein „halbviertliges Mäss" herbei und legte dies dem Manne zu Füssen mit dem Befehl: „Heb's auf und trag's in den Keller!" - „Ich hab' nichts heraufgetragen und trag' nichts hinunter!" antwortete jener keck. Da langt der Geist zu, trägt die Sachen weiter und winkt dem andern, dass er ihm folge, was dieser tat. Unten im Keller gebietet der Geist, indem er auf eine bestimmte Stelle deutet, wieder: „Da grab's heraus!" - „Hab' nichts verlocht, ich loche nichts hervor!", so weigerte sich der Beherzte. Da grub der Geist, bis ein Kessel zum Vorschein kam, den ihm der Gast herausheben sollte, worauf dieser wieder weigernd sich ausdrückte: „Hab' ihn nicht hineingetan, ich tu' ihn nicht heraus!" Als endlich der „Wandler" diese Arbeit selbst verrichtet und das Geld im Kessel in zwei Haufen geteilt hatte, sprach er: „Jetzt wähle dir einen Haufen; triffst du den rechten, so ist dein zeitliches Glück und mir das ewige entschieden, sonst aber bist du des Todes und ich der Pein nicht ledig." Schnell umarmte der Schlaue beide Haufen mit den Worten: „Einer wird wohl der rechte sein." Damit hatte er wirklich gewonnen, ein ungeheurer Reichtum war sein eigen, vergnügt lächelte der Geist dazu und entschwang sich gleich als weisse Taube nach oben.

 

Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.

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