Der Hexenzaun

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

In der Pilatuskette liegt auf der geraden Linie von Sarnen und Flühli als Grenzwächter zwischen Luzern und Obwalden der Feuerstein. Auf einer Alp dieses Berges lebte einst ein vermöglicher Senn, der eine schöne Frau und einen starken Knecht hatte. Der Meister sah zum grossen Leidwesen diesen starken Knecht von Tag zu Tag abnehmen und dahinschwinden.

Gefragt, was ihm fehle, wusste der Abzehrende um kein Übel, als dass er fast alle Nacht so entsetzlich schwere Träume habe. Er lag zu zweit in einem Bette und zwar gegen das Fenster hin. Da der Beilieger immer kerngesund blieb, so meinte der Meister, man soll probieren und die Plätze wechseln. Die Knechte folgten. Von dort an nahm wieder derjenige ab, welcher gegen das Fenster hin schlief und klagte ebenfalls über schwere Träume, während der andere genas und bald wieder der frühere starke Knecht war. Diese auffallende Erscheinung klagte einmal der Älpler seinem Bruder, der herzhaft und gescheit war. Das „Ding ist gut", der Bruder will kommen und selbst an die schlimme Stelle hinliegen. Wie er im Bette war, tat er die Augen zu, aber nur zum Scheine, er schlief nicht. Es machte nichts bis etwa gegen halb zwölf Uhr, da bewegte sich das Schubfensterchen und etwas Halbbogenförmiges flog herein und husch! ihm um den Hals. Und seltsam, in seinen Beinen hiess es zwei mal zwei macht vier, und die Zehen wurden wie Klumpen. Weiter oben im Magen regten sich Habergelüste und der Bauch wollte nimmer grad aufstehen, wie sonst, und dem Gesicht war's, als seien ihm Mund und Nase die ablange Hauptsache geworden; ferner kam ihn starke Lust an zu wiehern wie ein Ross. Allein, ehe er bei sich ausmachen konnte, ob er wirklich ein Ross sei oder nicht, musste er schon galloppieren wie der Alpschimmel, aber nicht auf dem festen Boden, sondern hoch oben in der schneidenden Luft und es sauste weit, weit fort über manche Kirchtürme hinweg. Auf ihm sass jemand und hielt den Zaum fest und lenkte ihn, wie den Pferden geschieht. Nach langem Saus und Braus fühlte er endlich wieder festen Boden unter den Hufen und musste er halten. Ab ihm, als dem Rosse, stieg nun - die schöne Brudersfrau. Jetzt wusste er, was ein Hexenzaum sei. Auf dem Hexensabbat in glänzender Gesellschaft aus allen Enden der Welt zusammengeflogen, machte sich die Älplerin lustig und stob endlich auf ihrem Rosse wieder auf und davon. Auf dem Wege jedoch hat 's ihr was gegeben, dass sie absteigen und das Pferd anbinden musste. Da diesem der schlimme Zaum aber nur aussen um das Gehäus der Gedankenfabrik sich schlang und den innern weichen Stoff nicht erreichen konnte, blieb das Gedankenwerk in ungestörtem Gange und kam zu dem Urteile: Wenn der Zaum abgeschoben wird, so ist das Pferd wieder Mensch. Der Versuch rechtfertigte ganz dieses Urteil. Wie das Weib wieder auf den Platz kam, schlangen aus einem Hinterhalte zwei Menschenhände ihr denselben Zaum unversehens um den Hals, und sie war jetzt das Ross und e r der Reiter.

Wie er mit ihr in Entlebuch anlangte, dachte er, die Hexe müsse doch auch beschlagen sein und ritt sofort zum Schmied. Aussen band er sein Ross an, wie man 's macht, und ging und rief den Meister. Dieser war flink auf dem Platze und hatte bald einem Vorderhufe seine Sache abgemacht. Wie sie nun beide wieder in die Schmiede gingen, ein zweites Eisen zu glühen und hierauf zum Notstall, wo das Ross stand, zurückkamen, war keines mehr da, denn die Hexe verstand es auch, den Zaum abzustreifen. Sogleich ging dieser Mann wieder zurück auf die Alp und auf die Frage „Wie geht's?" begann ihm gleich der Bruder es zu klagen, dass seine Frau krank darnieder liege. Der andere begehrte sie nun zu sehen. Zu ihr geführt, streckte er ihr die Hand wie zum Gruss entgegen, allein sie entschuldigte sich, dass sie einen lahmen Arm habe und ihm die Hand nicht entgegen reichen könne. Jetzt wusste er genug, entdeckte dem Bruder das Geschehene und so ward die Hexe überführt. Ihr Ende wirst du erraten.

 

Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.

 

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