Der Seminariherr

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Ein schlagendes Beispiel, wie das Volk uralte Traditionen oft auf viel spätere Namen überträgt, ergibt sich in den Obwaldner Sagen vom Jesuiten Pater Dr. Johann Baptist Dillier von Wolfenschiessen, der 1745 gestorben ist. In Sarnen hat er das noch bestehende Collegium gegründet und hiess daher unter`m Volke gewöhnlich nur „der Seminariherr“. Er war sehr fromm, gelehrt und gescheit. Beschäftigung mit Physik und Alchemie, welche damals bekanntlich einen mystischen Carakter hatte und verlieh, sowie absichtlich angewandte List mögen das ihrige beigetragen haben um den Seminariherr mit einem sagenhaften Anekdotenkranz zu umzieren. So liess er einst, sagt man, um einige Zwetschgenbäume vor naschhaften Händen sicher zu stellen, einen Knaben während dem Gottesdienst auf einen solchen Baum hinaufsteigen, damit er, wenn die Leute von der Kirche heimgingen, recht jammere, Gott versprich als wäre er oben angebannt. Solches tat seine Wirkung.

Für den Kirchenbau in Sarnen wusste er über Nacht auf unerklärte Weise Steine und Sand herbeizuschaffen. - Einem verkommenen, ungläubigen Menschen zeigte er in seiner Wohnung zu Sarnen drüben am Ächerli, einer Alp am Stanserhorn, den leibhaften Teufel, indem Dillier ihn über seine Schulter nach dieser Richtung schauen liess.

Den Mühlibach bannte er, dass selber keine Verheerungen mehr anrichtete und eine Matte in der Schwendi ward durch ihn wunderbar vom Ungeziefer befreit, alles Dinge, wie sie die Fahrigen verrichteten.

Ein Entlebucher wollte dem Seminariherrn ein Pferd abkaufen. Da es aber in der Alp war, so musste jener warten, bis es herbeigeholt war. Während sie noch im Handel begriffen waren, kam ein Alpnacher zum Pater. Den kaum ins Zimmer Getretenen überraschte er mit den Worten: „Ich weiss was du willst, mein guter Mann. Du willst die Geiss wieder, welche dir letzte Nacht gestohlen worden ist.“ Der Mann verwunderte sich, dass der Seminariherr es schon wisse. Jetzt nahm dieser ein Glas und liess den Bestohlenen hineinschauen. Er sieht darin zu seinem Erstaunen den Dieb, den er gar gut kennt. Der Schelm steht gerade im Begriff die Geiss zu schlachten und will schon das Messer ansetzen. Dem armen Manne, wie er solches schaut, rollen die hellen Tränen über die Wangen, weil er sein Tier nun nicht mehr zu bekommen hofft. Allein der Pater spricht, er solle nur geschwind gehen und noch einen Mann mitnehmen, er werde frühzeitig genug ankommen. Der Mann befolgte alles, überraschte mit seinem Zeugen den Dieb und nahm sein liebes Tierchen wieder wohlbehalten in Empfang. Der Entlebucher schaute hernach ebenfalls in das Glas und sah die Szene, wie der Alpnacher dem Schelme die Geiss abnahm.

Auf der Alp Unterwängen im Schwändi waren in der Hütte drei Ungetüme und machten es höchst beschwerlich da zu wohnen. Der Seminariherr ward berufen. Er kam und bewirkte, dass die drei Gespenster aus der Hütte weichen und sich in eine nahe Felsenhöhle zurückziehen mussten, wo sie ihren Spuck fortsetzen mochten.

Die Sache wird auch so erzählt: Auf  der Alp Wängi war sehr grosser Viehfall, für welche kein Kraut gewachsen schien. Der Seminariherr, endlich auch berufen, versuchte den Teufel zu beschwören. Allein dieser schalt ihn einen Dieb und verhöhnte ihn als Frevler. Pater Dillier merkte die List, ging wieder heim und kam einen andern Tag von Haus weg zu Pferd, damit ihm nicht an den Schuhen Gras von fremden Alpen oder Gütern hängen bleibe, denn deshalb trotzte ihm das letzte Mal der Böse. Der Seminariherr segnete die Alp und befahl dann den Älplern, sie sollen, wenn er fort sei, die Hütte anzünden und das Tier, welches komme, ins Feuer werfen. Das Anzünden befolgten sie; aber als die Hütte in Flammen stand, kam ein Hündlein, welches sie für dasjenige des Paters hielten, und schleuderten es darum nicht in die Glut. Hernach tadelte sie der Seminariherr und sagte, dass jetzt das ganze Spiel verdorben. Der Teufel nämlich habe die Gestalt seines Hundes angenommen. Nun sollten sie einen Arvenstock in die Erde vergraben. Es geschah. Der Seminariherr bohrte ein Loch, tat Geweihtes hinein und sagte, so lange nun dieser Arvenstock nicht verfaule, werde die Alp nicht gefährdet werden, aber was hernach geschehe, wisse er nicht. Er schrieb ihnen auch einen schönen Alpsegen vor, den sie allabendlich beten sollten. Er lautet:

O lobet zu loben.

In Gottes Namen loben.

O lobet zu loben

In unser Frauen Namen loben.

O lobet zu loben

In aller Heiligen Gottes Namen loben.

Gott und der heilige Wendel

Sankt Martin, Sankt Blasi

Und der vielselige Landesvater Bruder Niklaus

Wollen uns auf dieser Alp

Die lieb Herberig halten.

Das ist das Wort, das weiss Gott wo.

Hier und auf dieser Alp geht ein goldener Thron,

Darin da wohnt die lieb Mutter Gottes mit ihrem Sohn;

Und ist mit vielen Gnaden übergossen,

Hat die heiligste Dreifaltigkeit unter ihrem Herzen verschlossen.

Das erste ist Gott der Vater,

Das zweite der Sohn,

Das dritte Gott der heilige Geist. Amen.

Ave Maria!

Herzallerliebste Mutter Maria!

Jesu!

Lieber Herr Jesu Christ!

Behüte uns Vieh, Seel und Leib,

Ehr und Gut und alles was über diese Alp geht und ist.

O lobet zu loben!

Alle Schritt und Tritt in Gottes Namen loben!

 

Dieser Alpenruf ist in ganz Obwalden der gleiche. Viele Fremde hörten ihn mit Vergnügen und zeichneten ihn auf. Er wird im Choralton durch einen Trichter gesungen. Die Töne eines guten Sängers sind zwei Stunden weit vernehmbar.

Wenn einige denselben vergassen, so wurden sie etwa durch seltsames Herabfallen eines Geschirres und so fort daran erinnert.

Dillier nannte und unterschrieb sich bisweilen scherzhaft: „Herr v. Arniloch". In demselben, hiess es, seien Geister, und um sicher dahinein zu gelangen, könne nur er einen Pass ausstellen.

Eine Alp Arni gibt es nicht nur bei Engelberg, sondern auch am Giswilerstock, zwischen den Schwände- und Entlebucheralpen. Und eine Höhle dort heisst Arniloch. Es ist ziemlich gross, feucht und finster und nur wenige wagen sich weiter hinein. Von diesem Loche sagt man, es sei Gold, Silber und anderes Erz drinnen. Wenn die Leute, die hinein gingen, solche Erzstücke mit sich herausnahmen, so wurden sie Menschenköpfe.

Einem so zaubergewaltigen Menschenleben dichtete die Volkssage auch ein entsprechendes Ende zu.

Auf ihrer Seealp konnten die Lungerer nicht mehr alpen und ersuchten den Seminariherrn in der Ziegelhütte, er möchte hinaufkommen und die Alpe segnen. Nur unter der Bedingnis, dass sie das tun, was er droben verlangen werde, sagte er zu. Die Lungerer versprachen es und so ging er hinauf. Die Segnung war vollendet, als der Pater Holz zusammentrug und ein Feuer anzündete. Nun befahl er den Umstehenden, sie sollten sein Hündchen, das bald kommen werde, in dies Feuer werfen, sonst müsse er selbst in drei Tagen sterben. Sie aber weigerten sich dessen, weil ihnen der Hund nichts zu Leid getan hatte. Darum erkrankte der Seminariherr auf der Stelle; man musste ihn heimtragen und in drei Tagen war er eine Leiche.

Die Sage kümmert sich überhaupt nicht um geschriebene Urkunden und fragt auch im vorliegenden Falle dem noch vorhandenen letzten Arztkonto nichts darnach, sonst müsste sie ja selbst an dessen Medizinen sterben.

 

Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.

 

 

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