Die Entstehung der Thelkapelle

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Ehemals besass die Bürgschaft Leuk als Burgergüter das gesamte Gebiet in einem weiten Umkreise von Leuk. Auch war die Art der Güterverteilung anders als heute. So besass der nördliche Teil der Ortschaft Leuk, Tschablü genannt, als Burgergut Thel; dem östlichen Teil der Ortschaft, Loji genannt, war Rotafu zugesprochen, und der westliche Teil der Ortschaft, die Galdinu, hatte als Besitz das Gebiet Pfin.

Jeder Drittel verlehnte nach Belieben und Gutdünken seine Güter. So hatte der Drittel Tschablü einen Teil seiner Güter im Thel rund um die alte Kapelle an einen Peter Wicki aus dem Entlebuch verlehnt.

Wicki, ein frommer, christlicher Mann, wollte in der Nähe seiner Wohnung eine kleine Kapelle erbauen und begann daher mit den Abräumungsarbeiten dort, wo heute noch östlich der Kapelle die zerfallene Hofstatt steht. Doch während jeder Mittagsrast trug eine unsichtbare Hand die Instrumente an einen andern Ort. Und dieser Vorgang wiederholte sich immer und immer wieder. Wie nun Wicki in einer Nacht auf seinem Gute wässerte, da erschien ihm zwischen elf und zwölf Uhr eine weissgekleidete Gestalt, die in geringer Entfernung stillstand und ihm schweigend zu folgen winkte. Dem Wässernden wurde es unheimlich zumute, und es sträubte sich etwas in ihm so, dass er auf dem Flecken wie angenagelt stille stand. Die Gestalt winkte ein zweites und drittes Mal und verschwand. Dem Wicki aber flog gleichzeitig ein so heftiger Schmerz ins rechte Knie, dass er sich nur mit grösster Mühe bis in seine Behausung zu schleppen vermochte. Ein volles Jahr lang war er des freien Gebrauches seiner Glieder beraubt.

Und wie er oft tagelang einsam in seinem Bette lag, kam ihm ständig wieder die geheimnisvolle Erscheinung und die rätselhafte Verschleppung der Instrumente in den Sinn. Am Jahrestage seiner Erkrankung, als ihm die Schmerzen heftiger als je zusetzten, gelobte er die Erbauung einer Kapelle an jenem Platze, wo das Werkzeug von unsichtbarer Hand hingelegt worden war. Und wie ihm vor Jahresfrist die Schmerzen angeflogen waren, so verschwanden sie jetzt, und der freie Gebrauch der Glieder stellte sich rasch wieder ein.

Am Nachmittag machte sich Wicki auf den Weg nach Varen, um sich bei einem Freunde das nötige Geld für den Bau zu verschaffen. Wie er auf dem Wege zwischen Rumeling und Varen an die Stelle kam, wo heute die Muttergottesstatue in einer Felsennische steht, sah er ein altes, graues Männchen auf einem Steine sitzen; das schien auf ihn zu warten, grüsste bei seinem Herannahen freundlich und redete ihn an: «Wohin des Weges, Wicki?» - «Nach Varen, um mir Geld für den versprochenen Kapellenbau im Thel zu verschaffen.»

Das Männchen entgegnete mit vielsagendem Blicke: «Du tust gut daran, deinem Versprechen eiligst nachzukommen, grabe aber das Fundament, wo das Bildstöcklein steht und die Gestalt im Bildstöcklein mit der rechten Hand hinweist. Bete für meine Seele bei deiner Heimkehr in der alten Thelkapelle ein Vaterunser, ich werde heute Abend auf dem Ritzingerfeld für dich beten.»

Dies sprach das Männchen, grüsste freundlich und verschwand hinter der nächsten Biegung des Weges.

Wicki aber legte mit heimlichem Grauen den Rest seines Weges zurück, besorgte in Varen sein Anleihen und kehrte heim, allwo er für den seltsamen Unbekannten fünf Vaterunser betete.

Am folgenden Tag begann er an der bezeichneten Stelle zu graben und stiess auf einen eisernen, verschlossenen Kessel. Nur mit der grössten Anstrengung gelang es ihm, das Gefäss von gewöhnlicher Grösse zu heben, wie wenn das schwerste Metall darin läge. Erwartungsvoll riss er den Deckel weg, doch ein Schrei der Enttäuschung entschlüpfte seinem Munde: «Es sind lauter gebrannte Kohlen.» In grosser Bestürzung eilte er zu seiner Frau. Wie sie sich beide dem Platze näherten, da flimmerte und glitzerte es im Hafen. Die Kohlen hatten sich in blankes Gold verwandelt. Wicki betreib nun eifrig den Bau der Kapelle, die die anno 1777 ihre glückliche Vollendung erreichte.

Der Ort, wo Wicki den Kessel gefunden hat, soll bei der Seitentüre sein, die gegen Leuk schaut, und viele Leute wollen bemerkt haben, dass sich an jener Stelle fortwährend das Mauerpflaster loslöst.

LEUK

Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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