Der Bettelmann

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Man weiss nicht mehr akkurat genau, wo das gewesen ist, aber auf einer Alp im Hinterland hat dazumal ein Schächentaler als Knecht ausgeholfen und seine Sache gemacht, wie’s Recht und Brauch ist. Weil aber der Weg zur Alp stotzig und steinig war, so blieb er mit dem Senn meist die ganze Woche allein, und mehr als einmal kam er so ins Studieren. Der einzige Gast, der ab und zu aus dem Tal gestiegen kam, war ein altes Manndli, das so recht danach aussah, als ob es noch nie im Leben eine gute Stunde gehabt hätte. Darum mochte er wohl auch jedes Mal die Hand ausstrecken und um dies oder jenes betteln. Was aber dem Knecht seltsam vorkam, das war, dass der Senn, sobald das Manndli kam, jedwede Arbeit sofort liegen liess und so rasch als nur möglich ihm bereitstellte, was in der Hütte aufzutreiben war, Anken, Käse, Brot, Milch, ohne auch nur ein Sterbenswort zu fragen, woher und wohin des Wegs? Wie der Knecht in seiner Verwunderung einmal den Senn danach fragte, so befahl der ihm, wenn je der Bettelmann wieder käme, ohne ein Wort zu fragen, ihm alles auf den Tisch zustellen, was zu finden sei, und zwar so rasch als möglich. Ich weiss warum! Und da war der Knecht gleich gescheit als wie zuvor.

Richtig kommt der Bettler nach ein paar Tagen wieder durchs Alptürli, und der Senn ist weit draussen auf der Weide. Der Knecht aber sitzt auf dem Melkstuhl und ist just an den letzten Strichen, und so ruft er dem Manndli zu: «Sofort, Sofort! Nur noch drei Strich!» Das Manndli sagt kein Wort und nickt, und schon hat ihm der Knecht alles auf den Tisch gestellt und ein Beckeli kuhwarme Milch dazu, und erst noch ein Wohlbekomm’s gewünscht. In einem Zug ist der Bettelmann fertig mit allem.

Daraufhin aber sagt er nicht Vergeltsgott wie andere Male, sondern er setzt sich ans Feuerloch, bleibt da sitzen und streckt die Füsse an die Wärme und tut, als ob er für je und alle Zeiten hierbleiben würde.

«Nun ja», denkt der Knecht, «er wird den Rappel haben», und fängt zu käsen an. Aber wie er auch mit dem Käsrüehrer im Kessi herumfährt, die Milch will und will nicht dick werden, und alles Fluchen und Feuern nützt nichts. Der Bettelmann aber sitzt am Feuerloch und bläst von Zeit zu Zeit ins Feuer, und wenn s anfängt zu flackern, so steht er auf, geht zum Gänterli und holt sich Anken und Brot, und isst schon von der zweiten Hälfte des Käsleins, so lang und so viel, dass der Knecht denkt: «Der frisst uns alle noch zu armen Tagen!»

«He, guter Mann», mahnt er ihn schliesslich, «wie wär s mit dem Heimweg? Drei Stunden habt Ihr bis ins Tal, und wenn Ihr wartet, könntet Ihr leicht in ein Wetter geraten.»

Da findet der Bettelmann endlich auch ein Wort. «Heimgehen?» sagt er, «jetzt, wo ich endlich ein rechtes Haus gefunden habe? Das kommt mir nicht in den Sinn! Hier bleib ich ein für allemal!» Und schon ist er mit dem Käslein am Ende und schaut mit offenem Maul nach anderm um. Da merkt der Knecht, dass er den Unheimlichen in der Hütte hat. So tut er denn, als ob ihm auf einmal in den Sinn käme, er hätte etwas vergessen, und steigt langsam über das Leiterchen zum Tril hinauf. Wie er wieder herunterkommt, da hält er hinter seinem Rücken ein Skapulier (Amulett) und schwenkt es unversehens dem Manndli unter die Nase.

Wie der Bettelmann die zwei Bändel erschwickt, so schiesst er zur Tür hinaus, als ob er den Teufel samt den Hörnern gesehen hätte, und ist nie mehr erschienen. Wäre aber dem Knecht das Skapulier nicht in den Sinn gekommen, so hätten sie ihn hirten, leggen und deggen müssen, bis er im eigenen Speck zugrunde gegangen wäre.

 

Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchen
.ch

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