Der Bratenwender

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Von dem Freiherrn Kaspar von Stockalper erzählt die Sage viel Merkwürdiges. Wegen seinen schönen Naturgaben, seinen Talenten, Sprachreichtum, seiner Gelehrsamkeit und grosser Umsicht in Geschäften soll er bei den Königen von Frankreich, Spanien, England und besonders beim Herzog von Savoyen, in grosser Gunst gestanden haben. Auch rühmte man schon früher an ihm seine ritterliche Kühnheit, wie folgendes verwegene Wagestück hievon einen Beweis liefert.

In den Rohrflühen hielt sich eine Mörderbande auf, die schon lange der Schrecken der Reisenden und der Nachbarschaft war und ihre nächtlichen Raubzüge mit Mord und Plünderung bezeichnete. Die Massregeln, welche man bisher ergriffen hatte, um die öffentliche Sicherheit herzustellen, waren nicht genügend. Da soll Herr Kaspar von Stockalper auf eigene Faust zu einem kühnen Wagestück sich entschlossen haben. Er verkleidete sich als unsauberer Bettler und Narr, ging zu nachts durch den gefahrvollen Wald und liess sich von den Räubern fangen, um so ihre Pläne und ihren Aufenthalt auskundschaften zu können. Er wusste sich so gut zu verstellen, dass man von ihm keinen Argwohn eines Spions schöpfte. Mit wilder Freude und unter Gelächter wurde er von den Räubern ausgenommen und bei dem Feuer in ihrer Mitte als Bratenwender angestellt. Weil er aber den Braten oft, statt vorwärts, rückwärts getrieben, machten ihm die Räuber darüber Vorwürfe. Da erwiderte ihnen der verstellte Bratenwender: «Es geht wohl nicht immer so, d.h. vorwärts — es geht wohl auch so, d.h. rückwärts. — Die Räuber lachten über diesen, wie sie meinten einfältigen Einfall; doch einige von ihnen betrachteten ihn mit argwöhnischen Blicken und sagten: «Dieser Narr gefällt uns nicht, er hat zu gescheite Augen; wer weiss, ob er nicht ein verstellter Spion ist.» Diese Worte erregten eine plötzliche Aufregung unter den Räubern, so dass er fürchtete, alle Augenblicke erdolcht zu werden. Doch er wusste sich so gut zu verstellen, dass die meisten diesem Verdachte kein Gehör gaben; und damit dieser Narr nicht ein Zankapfel unter ihnen abgebe, jagte man den vermeinten Narren mit Schimpf und Fusstritten aus ihrer Räuberhöhle.

Wir können leicht denken, dass der Fortgetriebene erst frei aufatmete, als er den schrecklichen Wald hinter sich hatte. Schnell sammelte er eine hinlängliche Mannschaft, umzingelte zur Zeit, als die Räuber im Schlafe waren, ihre Höhle und nahm sie gefangen. Einige von ihnen machten den andern Räubern die wütendsten Vorwürfe: «Haben wir nicht recht gehabt, als wir euch sagten, dieser Narr sei ein verstellter Spion!» «Und» — erwiderte Kaspar von Stockalper, «hatte der Bratenwender nicht auch recht gehabt, als er sagte, es gehe nicht immer so vorwärts, es gehe denn rückwärts wohl auch!»

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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