Der Schlangenbann im Vispertal

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Eine etwas sonderbare Erscheinung ist's wohl, dass an den zwei Enden des Vispertales, Zermatt und Saas, keine Schlangen gefunden werden. Die letzten Schlangen sind in Saas, auf des Tales Ostseite beim Triftbach, westseits aber beim Biderbach anzutreffen. — In Zermatt hat die ganze Schattenseite (östliches Vispenufer) vom Täschbach bis zum Monte-Rosa- und Theodul- Gletscher keine Schlangen, während die Sonnenseite (West) deren viele hat. — In Saas und Zermatt wurden schon Versuche gemacht, lebende Schlangen über diese Grenzen zu tragen; aber alle verendeten gleich wie ans Land gezogene Fische, oder krochen eilend über den Steg zurück, über welchen sie getragen wurden.

Es mag schwierig sein, diese Erscheinung natürlichen Ursachen zuzuschreiben; wenigstens sind selbe noch nicht gekannt. Die Bäche, welche grossen Gletschern entfliessend, den Talboden merklich gehoben, haben doch unzweifelhaft auf beiden Ufern ein und dasselbe Erdreich gebildet durch des Wassers Ablagerung. Auch das Klima kann nicht so plötzlich ändern und in viel raueren Gegenden der Schweiz hausen Schlangen.

In beiden Tälern weiss das Volk sehr gut, dass es von Schlangen frei ist, und es könnte da keine gesehen oder getroffen werden, ohne das grösste Aufsehen zu erregen. Zeuge dafür ist die Sage, die in beiden Tälern geglaubt wird. Dieser Sage zufolge sollen da die Schlangen gebannt und gänzlich vernichtet worden sein durch "Fahrende Schüler", d.h. erfahrene, wandernde, arme Reisende, die von der Mildtätigkeit der Menschen lebten, aber nach dem Volksglauben etwas mehr als Brot zu essen verstanden.

Wie die Schlangen gebannt worden seien, wird in den zwei Tälern nicht gleich erzählt. — In Zermatt soll der fahrende Schüler auf einer Flöte gepfiffen haben; die Schlangen krochen alle aus den Löchern hervor und folgten eilig dem Flötenspieler. Dieser schritt immerzu pfeifend, langsam talauswärts und alles Ungeziefer folgte emsig.

Angekommen beim hohen Steg liess er alle Schlangen in ein grosses Loch glitschen und deckte dasselbe mit einem grossen Steine zu. Das Loch heisst noch jetzt "Schlangengrube" und kann jedem Touristen auf Verlangen gezeigt werden. — Eine Schlangenkönigin mit goldenen Ringen soll aus Gornern gekommen sein, die der Banner an einer Schnur zur Schlangengrube führte.

In Saas wird erzählt, der fahrende Schüler habe den von Schlangen geplagten Leuten angetragen, diese Tiere aus dem ganzen Tale zu bannen, wenn sie ihm eine vollständige Kleidung vom Kopf bis zum Fuss geben wolle. Einige glaubten und gaben die sie betreffenden Kleidungsstücke, Andere aber nicht und gaben nichts. Darum haben die inneren Talbewohner keine Schlangen, die vorderen aber wohl. Der Schlangenbanner soll nahe bei den Grenzbächen auf einen hohen Stein gestiegen sein und in einem Buche eifrig gebetet haben. Den in banger Erwartung harrenden Leuten soll er den gemessenen Befehl erteilt haben, ihn augenblicklich zu töten, im Falle die dritte weisse Schlange kommen sollte. Sein Leben sei dann verwirkt und er wolle lieber von Menschen als von Schlangen den Tod erleiden. — Bald krochen in langen Reihen die Schlangen heran und legten sich um den Stein des Banners herum, die eine auf die andere sich anhäufend. — Und es kam die erste weisse Schlange mit grossem Gefolge und die Schlangen türmten sich um den Stein immer höher hinauf. Aber auch die zweite weisse Schlange erschien, umgeben von einem grausig zischenden Schlangenheere. Gewaltig stieg die Schlangenmauer und drohte des Steines Spitze zu erreichen! — Die Zuschauer starrten vor Schrecken, selbst dem Schlangenbanner begann das Blut in den Adern zu stocken. — Doch die grausigen Schlangenreihen lichteten sich allmählich; bald folgten nur einige Nachzüglerinnen. Die dritte weisse Schlange kam nicht. — Die Schlangenleichen spülte die Vispe fort; der mutige Schlangenbanner verreiste froh mit seinem sauer verdienten Lohn und liess sich seither nicht mehr sehen.

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

Diese Website nutzt Cookies und andere Technologien, um unser Angebot für Sie laufend zu verbessern und unsere Inhalte auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie können jederzeit einstellen, welche Cookies Sie zulassen wollen. Durch das Schliessen dieser Anzeige werden Cookies aktiviert. Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Cookie Einstellungen

Diese Cookies benötigen wir zwingend, damit die Seite korrekt funktioniert.

Diese Cookies  erhöhen das Nutzererlebnis. Beispielsweise indem getätige Spracheinstellungen gespeichert werden. Wenn Sie diese Cookies nicht zulassen, funktionieren einige dieser Dienste möglicherweise nicht einwandfrei.

Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Das können unter Anderem folgende Cookies sein:
_ga (Google Analytics)
_ga_JW67SKFLRG (Google Analytics)
NID (Google Maps)