Der erste Meier in Kipfen

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Unter den zahlreichen Besuchern des Vispertales gibt es wohl wenige, denen Kipfen, (welches man durchschreiten muss nachdem man Kalpetran, innerhalb Stalden, passiert hat und St. Niklaus noch nicht in Sicht bekommen) ganz aus dem Gedächtnisse entfallen sein mag. Wenn es nicht eben "Fluonazens Brünnlein" ist, das beim Durstigen in den obern Kipfen frisches Wasser bietet, so mag es die öde, wildbewaldete, zerfahrene, bewegliche und talabwärtsrutschende Natur dieser Gegend sein, welche die Aufmerksamkeit der Reisenden in Anspruch nehmen muss. — Diese wildschöne, unheimliche Gegend soll einst zum Range eines freien Meiertumes gelangt sein. Die Veranlassung war folgende:

Einst fiel in den Kipfen ein Mann in die Vispe und wurde von den schäumenden Wellen fortgetragen. Das sah ein am Ufer arbeitender Holzhacker, sprang nach, packte und zog ihn mit seinem Eisenhaken wieder ans Land — freilich etwas unvorsichtig, denn der angesetzte Haken riss dem Geretteten eben das eine Aug aus. Darüber beschwerte sich dieser bei der Obrigkeit und belangte seinen Retter um Schadenersatz für das ausgerissene Auge. Das war nun eine ziemlich verfängliche Rechtsfrage, bei der man einerseits das Recht, anderseits aber die Billigkeit nicht recht vereinbaren konnte. Mit ganz verzogenen Mienen und sehr verstörten Gesichtern nahmen die Rechtsgelehrten Ort und Stelle in Augenschein. Ein zufällig anwesender Ziegenhirt bemerkte die Verlegenheit der wohlweisen Herren und, nachdem er sich über den Handel erkundigt, sprach er lächelnd, da wisse er schon Bescheid: Der Kläger solle sich an der gleichen Stelle wieder ins Wasser werfen und weitertragen lassen; rette er sich ohne Hülfe des Holzhackers, so müsse dieser ihm das Aug bezahlen; wo nicht, so sei es wohl gleich ob er mit einem oder zwei Augen sterbe. — Welch ein glücklicher Einfall! Die Richter atmeten wieder freier. — Zum Andenken an den merkwürdigen Rechtsfall wurde Kipfen zum Meiertum erhoben und der Hirtenbube seiner Weisheit wegen daselbst als erster Meier eingesetzt.

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872. E
ingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

Diese Website nutzt Cookies und andere Technologien, um unser Angebot für Sie laufend zu verbessern und unsere Inhalte auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie können jederzeit einstellen, welche Cookies Sie zulassen wollen. Durch das Schliessen dieser Anzeige werden Cookies aktiviert. Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Cookie Einstellungen

Diese Cookies benötigen wir zwingend, damit die Seite korrekt funktioniert.

Diese Cookies  erhöhen das Nutzererlebnis. Beispielsweise indem getätige Spracheinstellungen gespeichert werden. Wenn Sie diese Cookies nicht zulassen, funktionieren einige dieser Dienste möglicherweise nicht einwandfrei.

Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Das können unter Anderem folgende Cookies sein:
_ga (Google Analytics)
_ga_JW67SKFLRG (Google Analytics)
NID (Google Maps)