Die Pfarreistiftung

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

"Selber han, ist über Vater und Mutter" sagt ein altes Sprichwort. Wer selber hat ist selbst Meister; der braucht darum nicht von der Gnade und der Willkür anderer abzuhangen. — Freigeborene Leute wissen und fühlen das; sie handeln darum auch gewöhnlich darnach. Es mag das eine der Ursachen sein, warum im Wallis fast jede Gemeinde eine eigene Kirche, eigene Pfründe und eigene Priester haben will und dafür die grossmütigsten und schwersten Opfer bringt.

Ehemals war das nicht so; da waren der Pfarrkirchen und der Pfarrer sehr wenige auf dem Lande und wohl keine in Bergen und Tälern. Die guten Leute mussten oft halbe Tagereisen machen, um Kinder taufen und Verstorbene begraben zu lassen, oder sonst eine gottesdienstliche Verrichtung in der Pfarrkirche vorzunehmen. Da gab es des Mühsamen, Unbeliebigen und Traurigen wohl viel. — Aus jener Zeit wird noch erzählt, eine mitleidsvolle Wohltäterin habe dem Pfarrer in Naters eine futterreiche Wiese vermacht, damit er eine Kuh halte und so den Kindern Milch zu geben habe, die aus weiter Ferne zur Hl. Taufe hergebracht werden und Gefahr laufen auf dem langen Wege zu verschmachten. Ebenso heisst es, eine andere Wohltäterin habe dem Pfarrer in St. Niklaus die Kirchmatte gegeben, um ein Pferd zu nähren und so durch Berg und Tal viel leichter zu Pferd den Sterbenden den Trost der Hl. Religion noch zur rechten Zeit bringen zu können.

Die Lostrennung und Errichtung so vieler Pfarreien kostete aber unsere lieben Vorfahren recht viel Geld und noch mehr Mut, Opferwilligkeit und Ausdauer. Der Schwierigkeiten gab es immer zahllose zu überwinden. Nicht nur von Satan, dem Widersacher alles Guten, wird erzählt, wie er durch allerhand Spuk derart Beratungen und Pläne unter Vorstehern zu stören und zu hintertreiben suchte, auch die Menschen legten allüberall solchen Lostrennungsgelüsten in alter, neuer und neuester Zeit, alle möglichen Hindernisse in den Weg. Natürlich verliert eine Mutterkirche durch Absonderung ganzer Gemeinden und Ortschaften an Ausdehnung, Ansehen und Wichtigkeit und die Lasten, auf weniger Schultern verteilt, drücken schwerer. Darum sträubt man sich überall, andern das zu gönnen, was man selbst gern hat.

Mit grossen Schwierigkeiten hatten zu kämpfen die Gemeinden Unterbäch und Bürchen bei der Errichtung ihrer Pfarrei, gegen deren Lostrennung geistliche und weltliche Herren in Raron, die in Sitten viel Einfluss hatten, sich gewaltig stemmten. Schon lange dachten diese Berggemeinden daran, eine eigene Pfarrkirche zu errichten, wurden aber immer daran gehindert. Da geschah es, dass einmal im Winter eine Leiche nach Raron zum Begräbnis gebracht werden sollte. Die Wege waren so verschneit und voll Eis, dass an einer gefährlichen Stelle die Träger samt der Leiche ausglitschten und statt einer, dann sieben Leichen nach Raron auf den Gottesacker kamen. Da ward das Mass voll und alle Geduld aus; man schwor, nie mehr zu ruhen, bis Unterbäch als Pfarrei anerkannt sein werde.

Die guten Leute wurden aber in Sitten mit ihren Bitten abgewiesen und in Luzern bei der Nuntiatur nur kalt angehört. Da machten sich zwei Männer — Bergbauern — auf und zogen nach Rom, wo sie Fuchsenkappen, grobe wollene Handschuh, Schneeüberstrümpfe, Fusseisen, Schneereife und mit Eisen wohl beschlagene und zugespitzte Stöcke zu den Füssen des Hl. Vaters legten mit der flehentlichsten Bitte, man wolle doch sich ihrer erbarmen, ihnen eine Pfarrkirche erlauben und sie nicht länger zwingen, in solcher Rüstung und mit solchen Waffen zum Gottesdienste zu gehen. Und ihr Flehen wurde erhört und dem Bischofe in Sitten befohlen, den Bittstellern ihre Kirche zu weihen und den von ihnen vorgeschlagenen Pfarrer anzuerkennen.

Als die Herren in Raron merkten, der Bischof schicke sich an, zur befohlenen Kirchweihe nach Unterbäch zu gehen, stellten sie sich im Turtig an der Landstrasse auf, um noch einen Versuch zur Abwehr zu machen. Allein man hatte die Vorsicht, den Bischof schon bei "Tennen" ab der Landstrasse und über Eischoll nach Unterbäch zu führen. Nach langem Warten merkten die Herren, sie wären betrogen; stiegen darum schnell zu Pferd nach Unterbäch hinauf. Angekommen auf der Anhöhe, wo die neue Kirche mitten in schönen Wiesen ins Auge fällt, sprachen sie zu einander: «O weh, wir kommen zu spät! — Der Gauch geht schon mit Kappe und Stücke um die Kirche herum.» Missmutig kehrten sie nun nach Hause zurück.

Zum Andenken an diese sonderbare Errichtung lässt man in der Kirche zu Unterbäch noch jetzt die Fahnen nicht spalten und das "Vater unser" nicht teilen; auch steht dort auf dem Kirchdache das päpstliche Doppelkreuz.

Ähnliche Schwierigkeiten hatte auch Reckingen zu überwinden Münster gegenüber, das durch einige Familien im Lande mächtig war. In Sitten ebenfalls abgewiesen trug auch diese Gemeinde seine Bitten der Nuntiatur in Luzern vor. Diese schickte, um den Einwürfen von Seiten Münsters Stand zu halten, auf Bitten der Reckinger einen Priester aus Luzern, Job. Jos. Hürsimann, nach Goms, um da die Schneemassen und Gefahren des Winters unparteiisch in Augenschein zu nehmen. Das Urteil fiel zu Gunsten der Reckinger aus, welche dann einen Priester, Johannes Blatter, zur Prüfung und kanonischen Einsetzung nach Luzern sandten, weil der Bischof von Sitten diesen Pfarrer weder examinieren noch anerkennen wollte. Auch die Kirche wurde durch einen Delegierten aus Luzern gewiehen 1696. — Später baute Reckingen eine schöne — damals weitaus die schönste Kirche in Goms, die in ihrer schönen Form und reichen Ausstattung noch heute von der Wohlhabenheit und Grossmut der Bevölkerung Zeugnis gibt.

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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