Der Kastlan

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Die Kastläne waren einst die ersten Würdeträger in einer Gemeinde, geniessen darum aus alter Gewohnheit beim Volke noch jetzt ziemliches, wenn nicht das grösste Ansehen unter den Behörden, obschon sie in neuerer Gesetzgebung vom "Präsidenten" überflügelt werden und nicht einmal mehr zum Gemeinderat gehören. Dagegen bedeutet die Präsidentenwürde in vielen Gemeinden noch sehr wenig. — Kein Wunder! von der obersten Staatsbehörde an, durch alle Zweige der Amtsführung hindurch bis zur untersten Stufe der Stadt- und Dorfgassenkehrkommission hinab hat alles seine Präsidenten. — Es ist des Guten fast zu viel! Die alten Titulaturen, Landshauptmann, Rottenmeister, Bannerherr, Grosskastlan, Meier, Ammann, Seckelmeister, Gewaltshaber, Kirchmeier, Armenvater, Alpenvogt, Schottenteiler, Nachtwächter, u.s.f., boten mehr Abwechslung und imponierten mehr. — Doch kommen wir zur Sage.

Ein Bergbäuerlein war's, das einst, in Geschäften nach Sitten gekommen, die nötigen Sachen für seinen Hausbedarf, als Polente, Werg, Lampenöl und einige Stäbe Eisen u.s.f. einkaufte, alles hübsch auf sein Wägelchen lud und demselben sein Bergmaultierchen vorspannte. Auf der Heimreise überfiel unsern Geschäftsmann die Nacht viel schneller als er vermutete; er war darum sehr froh, dass Tag und Nacht aneinanderhingen.

In einer unwirtlichen Gegend gesellte sich zu unserm nächtlichen Fuhrwerker ein unbekannter Strolch, der, mit der einen Hand die Wagenleiter, mit der andern des Zugtiers Zügel erfassend, einen Teil der bessern Ladung abverlangte. Unser Bauer verstand es aber nicht gut, so wohlfeil seine mit barem Gelde eingekaufte Ware loszugeben. Er griff nach seinen Eisenstäben und schnell wie der Blitz erhielten Finger und Arme des Angreifers so barsche Komplimente, dass auf Krachen Seufzer folgten. Des Bauern Wagen und Maultier wurden frei und schneller angetrieben gelangten sie bald an's Ziel der nächtlichen Reise.

Folgenden Tages, Sonntag, besuchte unser Bauer eine Nachbargemeinde, um Geschäfte abzutun. Nach dem Gottesdienste verkündete der Weibel auf dem Ausrufungsplatze:

«Indem der Herr Kastlan, in letzter Nacht spät heimkehrend, die Finger verrenkt und einen Arm unglücklicherweise gebrochen, wird der angesagte Familienrat heute nicht gehalten.»

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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