Das unausweichbare Verhängnis

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Unter dem Land- und Bergvolke ist der Glaube allgemein, niemand könne seinem bevorstehenden Schicksale, seinem verordneten Verhängnisse ausweichen. — Freilich, was Gott für den Menschen bestimmt und angeordnet hat, wird nicht ausbleiben. Gott hat aber des Menschen Schicksale bestimmt, weil Er in seiner Allwissenheit weiss, was der Mensch tun und wie es ihm gehen werde. Im Vertrauen auf Gottes weise Vorsicht haben wir also nichts anderes zu tun, als was recht und was vernünftig ist. — Leider gibt es der Zukunftsschauer und der Wahrsagerinnen, die in einem Glase Wasser, in einem Kartenspiele oder aus den Falten der Hand des Menschen Schicksale erkennen wollen und so manchen Unfug anrichten. Gott sah den dummen Glauben so mancher um die Zukunft bekümmerter Menschen voraus, die, eben weil sie dem Verhängnis vorbeugen wollten, von demselben erreicht wurden; was nicht geschehen wäre, wenn sie den Wahrsagereien nicht geglaubt hätten. — Jeder geht mit seinem Willen dem Schicksale in die Arme.

Der Beispiele werden unter dem Volke unzählige erzählt. — Einem jungen kräftigen Burschen wurde angekündet, er werde noch heute ein Bein brechen. Dem vorzubeugen legte er sich gesund ins Bett. Gegen Abend stieg ein Mäuslein zu ihm über den Bettladen herauf; er sah es und wollte mit dem Fusse wehren aber so eifrig, dass sein Bein brach. Hätte er nicht geglaubt, so wäre die Maus an seinem Beinbruche nicht schuld. — Einem Landmanne wurde gewahrsagt, heute Nacht werde sein Haus in Feuer aufgehen. Dies glaubend liess er den ganzen Tag über und in kommender Nacht im ganzen Hause kein Licht machen. Bei angebrochener Nacht wollte ein Nachbar bei ihm Geschäfte abtun, fand aber in der Finsternis weder Stiegen noch Türen. Er machte darum unvorsichtig Licht und steckte das Haus in Brand, was er nicht, getan hätte wenn das gewöhnliche Licht angezündet gewesen wäre. — Einem andern träumte, er sehe eine Leiche aus dem Wasser hervorheben und erkannte mit Schrecken in derselben seine eigene Person. Er fürchtete darum im Wasser zu sterben und wagte sich nie mehr auf dasselbe. Eines Tages wurde er zu einer Spazierfahrt auf's jenseitige Ufer geladen. Weil er nicht auf's Wasser wollte, ging er um und stellte sich am Ufer, um der Ankommenden zu harren, auf einen Felsen der unterhöhlt war, mit ihm einstürzte und ihm den Tod gab. Wäre er mit den Kameraden geblieben, so wäre er nicht mit dem Felsen ins Wasser gefallen. — Von Aeschyles wird erzählt, dass ihm geweissagt wurde, er werde von einem Körper erschlagen werden, der von oben auf ihn herabfallen werde. Um diesem Schicksale zu entgehen, wohnte er beständig unter freiem Himmel und getraute sich nie mehr unter ein Dach. Eines Tages lag er im Felde an der Sonne; da flog ein Vogel mit einer geraubten Schildkröte daher, der, den Kahlkopf des Schlafenden für einen harten Stein haltend, dieselbe, um sie aufzuschellen, auf sein Haupt fallen liess und ihm den. Tod gab. Wäre er zu Hause geblieben, so hätte die Kröte ihn nicht erschlagen. —

Ich könnte mehrere Personen nennen, die vor Angst krank geworden, und bei denen der Schrecken alle Heilmittel unnütz machte, weil ihnen der Tod von geistersehenden Weiblein geschwätzig war angekündet worden.

Hier kann angereiht werden die Sage vom verunglückten Christian Blatter, Pfarrer in Reckingen. Dieser, 1705 in Reckingen geboren, wurde als Jüngling einmal von einer Lawine überfallen im Tale "Bächen". Den sichern Tod vor Augen machte er das Gelübde, Priester zu werden, wenn er noch entkomme. Und er wurde wunderbar gerettet und Priester. 1731 wurde er Pfarrer in Täsch und 1740 Pfarrer in Leukerbad. An beiden Orten fürchtete er allzu sehr die Lawinen und bat darum seine Obern dringendst, versetzt zu werden. Im Jahre 1743 kam er als Pfarrer nach Reckingen, wo er nun die Lawinen nicht mehr fürchtete. Doch er irrte grob; um 2 Uhr in der Nacht vor dem 6 Hornung 1749 wurde er samt dem Pfarrhause verschüttet und getötet von der Lawine die eben aus dem Tale Bächen kam, wo früher sein Leben gefährdet wurde. Wäre er nicht nach Reckingen gekommen, so hätte er dort im Pfarrhause seinen Tod wohl nicht gefunden.

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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