Vom Zurücktreiben

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

1. Ja, ja, Herr Pfarrer, ihr sagt jetzt schon, die Geistlichen hätten so etwas nie gekonnt, aber ihr seid eben auch ein Geistlicher. Sie wollen nicht; es ist eben nichts angenehmes, das Zurücktreiben. Mir hätte ein Kapuziner auch einmal etwas zurücktreiben sollen; ich bat ihn darum und sagte, wir seien eben auch nicht reich und könnten es wohl brauchen. Aber er sagte auch, so etwas könne er nicht. Aber die Leute sagten mir nachher, ich hätte ihn nicht darum bitten sollen, ich hätte es von ihm direkt verlangen sollen, dann hätte er es tun müssen. Ich hätte sagen sollen: »Ihr müsst mir das und das zurücktreiben.« Wir müssen ja die Geistlichen auch erhalten. Ich glaube auch, wenn hie und da etwas zurückgetrieben würde, so wäre das nur von Gutem. Es würde sich noch mancher besinnen, bevor er stehlen würde.

Frau von Unterschächen, 65 J. alt

2. Ein Älpler von Silenen hatte am Mittwochabend eine schöne Bürde Anken aus der Alp gebracht und sie in den Keller seines Hauses gestellt, um sie am nächsten Morgen früh nach Altdorf auf den Ankenmarkt zu tragen. Doch am Morgen war das köstliche Erzeugnis der Alp verschwunden! Sofort lief der Bestohlene zum Franz-Mariä-Baschi im Buchholz, der mehr konnte als nur Brot essen, und der versprach ihm, das Entwendete zurückzutreiben, und bezeichnete genau die Nacht, da der Dieb kommen werde. »Aber,« so legte er dem Älpler dringend ans Herz, »jene Nacht musst du vollständig durchwachen und jeden Augenblick bereit sein, dem Dieb die Last abzunehmen, und darfst dich durch nichts davon abschrecken lassen, mag kommen, was da wolle, sonst ist der Dieb für ewig verloren!« Jener hielt sich bereit und hatte die Frechheit, obwohl es die ganze Nacht hindurch schytzlich rumpelte, polterte und lärmte und jeden Augenblick jemand zu kommen und wieder zu gehen schien, zu wachen und gegen Tagesanbruch dem Dieb, der wie rasend dahergeschossen kam, die Bürde Anken abzunehmen.

Jos. M. Tresch, 70 J. alt

3. Im Gasthaus zum Adler in Bürglen wurde eines Tages Fleisch aus der Pfanne über dem Feuer gestohlen. Da liefen sie schnell zum Pfarrhelfer Planzer († 1827), der im Rufe stand, zurücktreiben zu können, und baten ihn um diesen Dienst. Es dauerte nicht lange, kam wirklich der Dieb im vollen Schweisse dahergerannt und brachte das Fleisch auf dem runden hölzernen Fleischteller. Einen Teil hatte er schon in kleine Stücke zerschnitten, den andern Teil noch nicht.

Frau Arnold-Stadler, 80 J. alt

4. »Uff dä Bächä« in Fellenen wurden von Zeit zu Zeit Schafe entwendet. Endlich wandte sich der Geschädigte an Einen, der zurücktreiben konnte. Dieser versprach ihm, den Dieb zu stellen, sagte aber, er müsse sich, wenn es an die Alphütte poche, an eine bestimmte Stelle begeben und dort bleiben, bis am Morgen die Sonne an die Gräte komme. Eines Nachts rumplete es wirklich an die Hüttentüre; es pressierte heillos! in den Unterhosen trieb es ihn zur Hütte hinaus bis an die bekannte Stelle. Als die Sonne die Wolken rötete, erschien der Dieb mit den gestohlenen Schafen in aller Eile und rief dem Harrenden flehentlich zu: »Säg um Gottswillä, i sell s' la gah!« Da rief jener: »Sä lach's la gah!« Jetzt liess der Dieb die Schafe laufen. Im nächsten Augenblick warf die Sonne ihre ersten Strahlen an die Gräte. Hätte der Dieb die Schafe nicht vorher loslassen dürfen, so wäre er eine Beute des Teufels geworden.

Jos. Gamma, 30 J. alt, Gurtnellen

5. Irgendwo und irgendwann wurde einem Bauer eine erkleckliche Summe sauer verdienten Geldes gestohlen. Da suchte er jemand auf, der zurücktreiben konnte, und der verhiess ihm, solches zu tun, aber, wenn der Dieb komme, müsse er ihm das Geld abnehmen, mache er es, wie er es wolle. Das gelobte zwar der Bauer, doch, als der Dieb erschien und das glühende Geld von einer Hand in die andere schüttete und daran blies, fing es an zu donnern und zu blitzen, zu tosen und zu toben, dass das Bäuerlein eine höllische Angst bekam und davonrannte. Da kam der Teufel und zerriss den unglücklichen Dieb in Stücke. Drei Tage lang hörte man diesen in den Lüften schreien. Der Zauberer aber beteuerte hoch und heilig: Nie mehr werde er zurücktreiben.

M. Josefa Aschwanden, 75 J. alt, Sisikon

6. Einem Bauer wurde eine schöne Trinkel gestohlen. Er ging zu einem, der zurücktreiben konnte. Der sagte zu, bemerkte aber, wenn sie der Dieb zurückbringe, müsse er sie ihm abnehmen, sonst sei der Dieb verloren. Als einmal der Bauer im Gaden beschäftigt war, streckte jemand, den er aber nicht sah, die Trinkel an einem Stecken zur Oberlücke der geschlossenen Gadentüre herein.

Marie Dittli, 50 J. alt, Intschi

7. Zu Schattdorf, im Wirtshaus zum Tellen, wurde am Vorabend der Kilbi eine schöne Bürde Anken, die im Hausgange stand, mitsamt der Gabelen gestohlen. Als die Wirtin ihren Verlust in der Wirtsstube überlaut beklagte, erteilte ihr ein Gast den Rat, sie solle drei Hand voll Salz in einer Pfanne ohne jede Beigabe wacker rösten und drei bestimmte Worte dazu sprechen, die ich nicht kenne. Dann werde der Dieb mit dem Gestohlenen kommen; aber sie müsse dann bereit stehen und ihm den Anken abnehmen. Sie ging und röstete das Salz mit allem Eifer. Bald kam der Dieb in grosser Hast daher, schwitzend und dampfend, bis zur Stelle, wo die Bürde gestanden, und sie nahm ihm diese ab; der Dieb war unkenntlich.

Frau Inderkum

8. Jeden Winter wurde der Milchkessel einer Alp in Isental gestohlen. Da ging endlich der Besitzer zu einem Kapuziner und bat ihn, den Dieb zur Rückerstattung zu zwingen. »Zurücktreiben« nennt es der Volksmund. Der Pater versprach es, liess sich aber vom Bittsteller das heilige Versprechen abgeben, an einem bestimmten Tage sich in der Alp einzustellen und dem Dieb, der kommen werde, das gestohlene Gut abzunehmen, möge er noch so schrecklich erscheinen. Gut, am bestimmten Tage war der Bauer in der Alp, der Dieb kam. Aber wie? ganz brennend, und der Alpkessel war auch glühendrot. Der Bauer lief davon. Als sie im folgenden Frühling in der Alp auffuhren, stand der Schelm mit dem Kessel unter der Hüttentüre. Wie sie ihn antasteten, um ihm die Last abzunehmen, fiel er vor ihren Augen in Staub und Asche zusammen. Aber auch der Besitzer sank tot zu Boden.

Frau Gisler-Zwyssig, 68 J. alt

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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