Paracelsus in St. Gallen

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

(Originaltext)

Es was uf am Zyt, 1526–30, do der in ganz Europa hoch verüemt Doktor Theophrastus Paracelsus zu St. Gallen im obern Thurgäuw, vor dem Multerthor saß und mit ihm manch ehrbare Burger, wie das noch hütigen Tages zur Abendzyt gepflogen wirdt.

Do erzellt inen der Doktor vielerley von synen Reysen und Farten durch Lamparten, Bömerland und Hungern, auch wie er in Polen mit den Zyginern gezogen und gehuset, ire Kunde der heilsamen Chrüter und Wundsalben zu erforschen, des Wytern Croatien und Skandinavien bereyset und kostliche Erfarung gesamblet zum Frommen der Lydenden.

Und als er Inen so erzellt von der Menschen in frömden Landen Thun und Tryben zu aller Ergehen, wandelt deß Wegß Stücheler, der Stadtpfyffer, sonst ein heller Gesell und lustiger Sinnen voll, jetzt aber vast trurig und ernstlich zuwider sin Gewohnhait; alß den der Doktor ersach, dem nünt entrünnt, frogt er ihn: „Stücheler, min guoter Gesell, was bist du so trurig und henkst die Lefzgen? Du wärst wie ich wol truw lieber by dinen Herren zu Baden, statt hier zu schliche um ir Tor und die Fecken (Fittiche) zu lampen wie ain Vogel in der Mus?"

Auf das, so gnappet der Stücheler mit dem Haubt, alß wollt er dem Doktor Recht geben, doch schamt er sich, das ers merk, aber der Parazelß fart fort mit sym Spott, sagende, willtu hüt noch zur Abendstund in Baden sin zu diner Freud und Lust und dinem Herren vorpfyffen, so ryt dahin, denn ich höre schon die Rößlin stampffen dorten by der Schüßhütten.

Deßen wunderten sich alle, vorab der Pfyffer, wie sticht Im do das Rößlin in die Augen, der Parazelß aber trybt In ylfertig, was sumst so lang und stoht doch das Thierlin do für dich, satz dich hinuf und grüß mir mine Herren zu Baden, aber so lieb dir din jung Leben, so spar die Red und wahr din Zungen vestiglich underwegen, bis din Fuß zu Baden uf der Gassen stoht.

Do satzt sich der Stücheler hurtig uf und mit Im hub sich das Rößlin uf vom Boden, sam es ain Vogel wär, fur auch mit dem Pfyffer von dannen glych ainem Luftstoß, das Männiglich davor entsatzte, der Doktor aber lachte grimmig darob glych ainem rechten Schalken.

Mocht auch der Pfyffer uf syner Windfart an den Doktor denken, so konnt ers doch nicht lang und dick, denn er zu Baden vor der Herberg war, eh daß er sich versach, grad alß es hoche Zyt und man zu Baden die Torglogen lüt, mocht auch bloß uß dem Bügel stygen, so war das Rößlin uf und furt, denk wohl von wo es kommen!

Zu Baden in den Rappen aber war alles lebendig, voll des Jubels und lutprächtigem Wesens, denn die frömden Gesandten, viel uß dem Adel, Frömd und Inheimbsch, auch der Eydtgenoßen Ratsboten pflogen daselbst der Freuden bym Spyl und Danzen, mit Bankettiren und Inen nach, in den anderen Wirthshüsern, machts das gmain Volk was aines Jeden Seckel und Truhen erliden mag, sonder Kumber, wovon morn deß zeren.

Der Stücheler aber huscht ins Hus und sucht nit lang sin Platz hinter den Spillüten; uff ainsmol doch so fragt der Junker Ludwig Zollikofer von St. Gallen syn Schwacher, Heinrichen Blum, mir ist ich hör deß Stüchelers Pfyffen vor allen andern us und sind es doch frömd Spil- lüt uß Bömerland? Deß mochtend sy wol Rats sin. Denn der Stücheler lahnt hinder ainem Pfosten uff der Spillbrögi, das In kainer sehen könnt; denn die Bömen die mochtends wol liden, das er Inen hulf und syn Pfyffen tönt über die anderen uß mit künstlicher Schrillerei zur Freud von Alt und Jungen, deren viel vorhanden.

Doch sticht den Junker Ludwigen der Wunder so heftig sam er ain großer Fründ der Musika, daß er hinden zu den Spillüten schlicht und gewart den Stücheler, zücht In auch alß der Dantz vorby, am Gwand hinter dem Pfosten herab und mußte er bychten den Herren von St. Gallen, den Ratsfründen wie und wann er kommen.

Hierüber entsatzten sich die einten und fanden diese Wunderfart schier verwegen und seltzam, die andern mainten gar, Stücheler hätt ainen Stotzen Win zu viel trunken und vergessen wie er herkommen, all aber hatten ytel Freud und Lust an des Pfyffers Erzellen und munterm Wesen, er vergaß auch nit des Parazelßen Gruß zu melden, deß Namen Manchem galt eines Zauberers glych. Doch fand der Stücheler durch syn Herren von St. Gallen und lustig Spillwysen manch willig Hand und offen Becher, daß ers zu Baden wol verliden mocht und nachmols mit Inen dort abzog, alß sy rückkerten in Ir Vatterstadt, minder hitzig dann ers ußgeritten.

(Übersetzung)

Es war zu einer Zeit, 1526-30, als der in ganz Europa hoch berühmte Doktor Theophrastus Paracelsus in St. Gallen im oberen Thurgau vor dem Multertor sass und mit ihm manch ehrbare Bürger, wie dies noch heutigen Tags zur Abendzeit gepflegt wird.

Da erzählte ihnen der Doktor vielerlei von seinen Reisen und Fahrten durch die Lombardei, das Böhmerland und Ungarn, auch wie er in Polen mit den Zigeunern gezogen war und mit ihnen gehaust hatte, um ihre Kunde der heilsamen Kräuter und Wundsalben zu erforschen. Des Weiteren, wie er Kroatien und Skandinavien bereist und dort köstliche Erfahrungen gesammelt hatte zum Frommen der Leidenden.

Und als er ihnen so vom Tun und Treiben der Menschen, zum Wohlergehen aller in den fremden Ländern erzählte, kam Stücheler, der Stadtpfeifer des Weges; sonst ein heiterer und lustiger Geselle, jetzt aber fast traurig und ganz anders als gewohnt. Als der Doktor, dem nichts entging, ihn sah, fragte er ihn: „Stücheler, mein guter Geselle, was bist du so traurig und lässt die Mundwinkel hängen? Du wärst wohl, vermute ich, lieber bei deinen Herren in Baden, anstatt hier um ihr Tor zu schleichen und die Flügel hängen zu lassen wie ein Vogel in der Mauser?“

Daraufhin nickte der Stücheler mit dem Kopf, als ob er dem Doktor Recht geben wolle, doch er schämte sich, dass der es merke; aber der Paracelsus fuhr fort mit seinem Spott und sagte: „Willst du heute noch zur Abendstunde in Baden sein zu deiner Freude und Lust und deinen Herren vorpfeifen? So reite da hin, denn ich höre schon die Pferde stampfen dort bei der Schiesshütte.“

Dessen wunderten sich alle, vorab der Pfeifer, als ihm das Pferdchen in die Augen stach. Paracelsus trieb ihn eilfertig an: „Was säumst du so lange? Das Tierlein steht doch da für dich, setz dich auf und grüsse mir meine Herren in Baden. Aber wenn dir dein junges Leben lieb ist, so spar dir das Reden und halte deine Zunge im Zaum unterwegs, bis dein Fuss in Baden auf der Gasse steht.“

Da sass der Stücheler hurtig auf und mit ihm hob das Rösslein ab vom Boden, als ob es ein Vogel wäre, und fuhr mit dem Pfeifer von dannen wie ein Luftstoss, so dass sich alle darüber entsetzten. Der Doktor aber lachte grimmig darüber, gleich einem rechten Schalken.

Mochte auch der Pfeifer auf seiner Luftfahrt an den Doktor denken, so konnte er es nicht richtig, denn er war in Baden vor der Herberge, ehe er sich’s versah: gerade als es hohe Zeit war und man in Baden die Torglocken läutete. Kaum war er aus dem Steigbügel, war das Rösslein auf und davon, wohl dahin, woher es gekommen war!

Im (Wirtshaus) Rappen in Baden aber war alles lebendig und voller Jubel und lauten Treibens, denn die fremden Gesandten, viele aus dem Adel, Fremde und Einheimische, auch die Ratsboten der Eidgenossen, pflegten daselbst die Freuden bei Spiel und Tanz und Banketten. In den anderen Wirtshäusern der Stadt machte es ihnen das gemeine Volk nach – was eines jeden Geldsäckel und Truhe erleiden mochte, ohne Kummer darüber, wovon man morgen zehren sollte.

Der Stücheler aber huschte ins Haus und suchte sich schnell einen Platz hinter den Spielleuten. Doch schon bald fragte der Junker Ludwig Zollikofer von St. Gallen seinen Schwager, Heinrich Blum: „Mir ist, ich höre des Stüchelers Pfeifen aus allen andern heraus, aber es sind doch fremde Spielleute aus dem Böhmerland?“ Sie konnten es nicht erraten, denn der Stücheler lehnte hinter einem Pfosten auf der Spielbrücke, damit ihn keiner sehen konnte. Die Böhmen mochten es wohl leiden, dass er ihnen half und dass sein Pfeifen mit seinen kunstvollen hohen Trillern zur Freude der vielen Alten und Jungen alle übertönte.

Doch dann stach der Wunder den Junker Ludwig, der ein grosser Freund der Musik war, so heftig, dass er nach hinten zu den Spielleuten schlich und dort den Stücheler gewahrte. Als der Tanz vorbei war, zog er ihn an seinem Gewand hinter dem Pfosten hervor und er musste den Herren von St. Gallen, den Ratsfreunden beichten, wie und wann er gekommen war.

Darüber entsetzten sich die einen, die diese Wunderfahrt schier verwegen und seltsam fanden, die anderen meinten gar, Stücheler hätte einen Schoppen Wein zu viel getrunken und vergessen, wie er hergekommen war, aber alle hatten eitel Freude und Lust an des Pfeifers Erzählungen und seinem munteren Wesen. Er vergass auch nicht, den Gruss des Paracelsus auszurichten, den viele für einen Zauberer hielten. Der Stücheler fand durch seine Herren von St. Gallen und seine lustigen Spielweisen manche freigiebige Hand und offenen Becher, so dass er es in Baden gut aushalten mochte und nachmals mit ihnen dort abreiste, als sie in ihre Vaterstadt zurückkehrten; weniger hitzig, als er ausgeritten war.

C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen., Leipzig 1854.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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