Kinder, hütet euch vor dem Haaggenmanndli

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Im ganzen Lauterbrunnental treibt das Haaggenmanndli sein Unwesen. Obschon von Gestalt klein und unscheinbar, ist es stark wie ein Baum, hinterlistig und verschlagen. Diesem Kobold, dem ist im wildesten Wildwasser so wohl wie dem Fisch und in der Luft so wohl wie dem Vogel. Jahraus, jahrein ist das Manndli erpicht auf Menschenfleisch — jawolla! Mit ganz besonderer Vorliebe geht es aus auf Kleinkinderfleisch, denn das ist weich und zart und, wenn gebraten, gar knusperig! Von der ersten Taghelle, die von den Gipfeln in den Talgrund sinkt bis zur Abendfinstri, die von den Taltiefen zu den Höhen emporsteigt, ist es ohne Ruh und Rast auf der Lauer. Es ist überall und nirgends. Aber am häufigsten trifft man diesen gefrässigen Passauf an den beiden Ufern der Lütschine vom letzten Haus in Sichellauinen bis hinaus zum Lütschisand am See.

Nicht nur am Wasser, auch an den Rändern der Mürren-, Schiltwald- und Hunnenfluh, ist es emsig auf dem Lugaus.

Das Haaggenmanndli hat einen langen, langen, zähen Eschenstock und vorn dran einen scharf gebogenen Haken wie ein Gyrenschnabel. Kommt ein Kindli zur rauschenden Lütschine und wirft Blümlein, Holz, Tannzapfen oder dergleichen hinein, um zu schauen, wie sie trudeln in den Strudeln, dann langt es mit dem grässlichen Haken hinter einem wasserumbrausten Stein herauf oder unter einer Mutte der Böschung hervor. Der Haken, der greift blitzschnell um ein Bein — ein Ruck — ein Platsch — und das hungrige Haaggenmanndli hat seine Speise! In der Lütschine frisst es die armen Kinderlein roh und gibt die zarten Knöchlein den grossen Fischen.

Aber vom Fluhrand, wo die vielen Beeren und Blumen allzu bunt leuchten und allzu gut duften, da häkelt es die Unvorsichtigen herunter, brät sie ohne Federlesen in den finsteren Balmen hoch in den Flühen, die ja jedermann vom Talgrund aus wohl sehen, aber nie und nimmer erreichen mag. Die kreischenden Dohlen und die schwarzen Raben zanken um die Reste.

Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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