Der alte Lötscher und das Lauwitier 6. Teil - Tennbachlawine

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

«Mutter, hat das Lauwitier auch schon Kinder genommen?»

«Gewiss, aber ohne ihnen zu schaden, wenigstens im Lötschental. In der Gillun soll eine Lawine zweiundzwanzig Spinnräder genommen haben, aber ich hörte nie, dass auch ein Kind dabei war», sagt die Mutter.

«Wahrhaftig», bestätigt der Grossvater, «ich habe nie gehört, dass bei uns ein unschuldiges Kind in einer Lawine verunglückt ist, nicht einmal in der grossen Tennbachlawine, die das Tennmattendorf verschüttet hat. Das Dorf war damals nicht mehr bewohnt. Mein Vater ist über diese Lawine gegangen. Er sagte, beim vordem Riedkreuz habe man den Fuss auf die Lawine gesetzt und diese nicht mehr verlassen bis zum Kreuz auf dem Stalden bei Wiler. Damals lebten noch Leute in den Wüsten Matten und zur Tärra. Im ganzen Tal lag aussergewöhnlich viel Schnee. Eines Abends sahen die in den Wüsten Matten, wie die Leute zur Tärra betend um das Häuschen gingen. Spöttisch meinten die untern: «Betet nur, morgen werdet ihr bei uns im Tal sein.» In der folgenden Nacht ist die grosse Tennbachlawine niedergegangen, die grösste Lawine, von der man je hörte in Lötschen. Die Lawine hat zwischen Ried und Wiler auf der Sonnenseite alle Bannwälder und achtzig Firsten (Gebäude) gebrochen. Fast tausendjährige Lärchen und über dreihundert Jahre alte Häuser wurden fortgerissen. Zur Tärra zitterten die Leute, als die Lawine zu beiden Seiten des Häuschens abging. Deutlich hörten sie eine Stimme rufen:

«Hier fastet klein und gross, was mag

und hatet d’heiligun Tämpertag (Quatembertage).»

Die Leute zur Tärra hielten noch immer treu das Quatemberfasten. Am andern Tag sahen sie die Verwüstung unten im Tale. In den Wüsten Matten hatte die Lawine Häuschen und Scheunen zugedeckt. Nur ein unschuldiges Kind sei am Leben geblieben, der Stammhalter der Familie Ebener. Man habe es in der Wiege schlafend gefunden.

Auch am Bärried, wo die Lawine vorbeiging, sind zwei Hirten am Leben geblieben. Sie sahen auf der Lawine einen älven (braunen) Bock zu Tal reiten und hörten eine Stimme rufen:

«Ich mag nit bas, ich mag nit bas,

äs fastend d’heiligun Tämpertag.»

Es war das kein gewöhnlicher Bock. Bald nachher habe man in der Grossen Eie bei Visp eine Hexe gefangen, die bekannte: « Die schönste Fahrt in meinem Leben war auf einem Besenstiel vom Mattmarksee in den Genfersee, und den grössten Schaden habe ich im Lötschental gemacht wo ich die grosse Tennbachlawine gebrochen habe.»

«Es hat nie Hexen gegeben», sagt die Mutter fast unwillig, das sind nur «Zellätä».

«Für heute ist es genug», meint auch der Grossvater, «sonst träumt ihr die ganze Nacht vom alten Lötscher und vom Lauwitier.»

«Aber ein andermal, Grossvater», rufen die Kinder.

Gerade das Lauwitier fürchten die Lötscher am meisten.

Sie sagen: «Es würde nie zu viel schneien, wenn der Schnee bleiben müsste, wo er fällt. Mag der alte Lötscher noch so viele Säcke Schnee ausleeren auf den Gräten, wenn nur das Lauwitier nicht käme und ihn losstampfte.» In schneereichen Wintern sollen die Lötscher mehr als einmal gesagt haben: «Wenn wir nochmals erapern, lassen wir uns hier nicht mehr einschneien.» Dann sei ein warmer Frühling gekommen und ein fruchtbarer Sommer, und der Winter war vergessen. Wills Gott werden sie auch nach diesem schneereichen und lawinengefährlichen Winter dem Heimattale treu bleiben.

Quelle: J. Siegen, Sagen aus dem Lötschental, Erweiterte Ausgabe der Gletschermärchen (1905), Lausanne 1979.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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