Die kuhmelkende Schlange

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Vor vielen Jahren hatte der Herr von Grassburg unter seinen vielen Knechten auch einen, der ein ausgezeichneter Schütze war und manch Rehböcklein und Häslein erlag seiner nie fehlenden Armbrust. Dieser gewaltige Nimrod war aber auch ein intimer Freund des Bachus und es wurde daher ein schöner Theil seiner Jagdbeute auf dem Altare dieses heidnischen Gottes geopfert. Damals waren nämlich die Jagdgesetze noch nicht so streng und er brauchte nicht jeden „Lampe" in die herrschaftliche Küche zu liefern. Eigentlich war aber dies gar nicht sein Beruf, sondern er war nur wohlbestellter Kuhhirt und pirschte nur so nebenbei.

Es war einmal eben im Mai, als er bemerkte, dass eine seiner schönsten Kühe regelmässig am Abend viel weniger Milch gab als am Morgen; sie brachte das Euter fast leer von der reichen Weide heim, die sie in dieser Zeit in der Nähe des Schlosses täglich mit ihrer gehörnten Gesellschaft bezog. Zuerst hegte der Knecht Verdacht gegen die Holzhacker und Kohlenbrenner, die unweit ihr Wesen trieben. Da aber auch nach ihrem Weggang die Sache sich nicht besserte, so beschloss er, dem unberufenen Melker aufzupassen. Da bemerkte er denn schon am ersten Abend, dass die Kuh, als die Zeit zur Heimfahrt nahte, sich stets in der Nähe eines grossen Felsens aufhielt und oft im Fressen innehielt, als ob sie jemand erwarte. Leise schlich er herbei und verbarg sich ganz in der Nähe hinter einer Schermtanne. Plötzlich sah er eine grosse schöne Schlange in majestätischen Ringeln sich vom Felsen herwinden. Er wusste nicht, ob sie unter dem Felsen hervor oder gar aus einer Ritze desselben heraus gekommen. Starr vor Erstaunen sah er, wie sie sich an das strotzende Euter hing und mit sichtlichem Wohlbehagen die süsse Flüssigkeit sich schmecken liess. Erst jetzt bemerkte er auch, dass eine glänzende, goldene, mit blitzenden Steinen geschmückt Krone das Haupt der sonderbaren Melkerin schmückte. Immer dicker und voller rundete sich der schlanke Körper des gleissenden Reptils und ohne die geringste Bewegung zu machen, schaute die Kuh mit scheinbarem Wohlgefallen den Bewegungen des geschmeidigen Thieres zu. Als das Euter bald geleert, schlich die Schlange auf einige Augenblicke weg. Die Kuh rührte sich aber nicht von der Stelle; sie schien noch etwas zu erwarten. Und richtig, bald kehrte die Schlange wieder und trug in weit geöffnetem Rachen einen gewaltigen Büschel ihm unbekannter, saftiger Kräuter und hielt diese dann ihrer Milchspenderin zum Frase hin. Mit sichtlichem Wohlbehagen empfing diese die Labung, und sie schien ihr ausnehmend wohl zu schmecken. Nachdem die letzte Spur des, freilich wohlverdienten, Leckerbissens verschwunden, kroch die Schlange wieder in ihren Schlupfwinkel und die Kuh schickte sich an, den andern auf dem Heimwege zu folgen. Auch der Hirt schickte sich zur Heimkehr an. Ihm war jetzt auf einmal ganz eigenthümlich zu Muthe, die gleissende Schlange mit ihrer kostbaren Krone flimmerte ihm fortwährend vor den Augen. Aber noch ein anderes Räthsel war ihm jetzt zum Theil gelöst; das nämlich, warum seine braune schöne Liesel trotz des Milchsegens immer glatter, schöner und fetter wurde, während doch die Weide bei der fortwährenden Trockenheit stets abnahm, was auch das Aussehen der anderen Kühe aufs sprechendste bekundete. Die von der Schlange bescherten Kräutlein waren's, die diese wunderbar nährende und erhaltende Kraft besassen. Es leuchtete ihm ein, dass die Kenntnis derselben ihn zum reichen Manne machen müsste. Die ganze Nacht träumte er von goldenen Kronen, glänzenden Schlangen, die sich in prachtvolle Kühe verwandelten und dann von seltenen, ihm bisher unbekannten Kräutern sich nährten, von geheimnisvollen Gängen und Höhlen im Schlossfelsen, die angefüllt waren mit Kostbarkeiten aller Art. Als er am Morgen erwachte, stand der Entschluss fest: Die goldene Krone und die Kenntnis der wunderbaren Kräutlein müsse sein werden, es möge kosten, was es wolle. Kaum mochte er in fieberischer Ungeduld den Abend erwarten. In der ersehnten Stunde schlich er mit seinem Schiesszeug klopfenden Herzens hinunter in die nächste Nähe des eigenthümlichen Rendez –vous und verbarg sich wieder hinter der alten Schermtanne. Schon grasete seine braune, glatte Liesel ahnungslos in der Nähe des Felsens und nicht lange ging' s, so hing ihre seltsame Freundin wieder an dem süssen Quell. Da es dem Laurer nicht bloss um das kostbare Juwel, sondern auch um die geheinmisvollen Kräuter zu thun war, so wollte er nicht grausam ihren letzten Genuss stören. Er wollte den Moment abwarten, in dem die dankbare Melkerin ihrer Nährerin die kräftige Gabe darreichte; so hoffte er, beide Schätze auf einmal zu erhaschen; denn er zweifelte nicht daran, dass in der Nähe solche Kräuter wachsen. Wenn er nur einmal sie recht sehen könne, er werde sie dann zu finden und zu mehren im Stande sein, meinte er. Endlich war das Reptil zum letzten Mal gesättigt und schlich weg, um seiner Verpflichtung nachzukommen; aber vergebens strengte der Hirte seine Augen an, um zu sehen, wo es sich hinwende, er konnte es nirgends sammeln sehen . Entfernen durfte er sich nicht; denn jetzt war der Moment da, wo seine Kunst sich bewähren und ihn zum glücklichsten Schützen machen sollte. In banger Erwartung und fieberhafter Hast spannte er den Bogen, legte den flüchtigen Pfeil auf und hob das Mordgewehr zum Anschlage; denn eben kam sein herrliches Ziel schöner als je hinter dem bergenden Felsen hervor. Eben wollte die Lieset schmatzend nach den duftenden Kräutern die Zunge ausrecken, als der zischende Pfeil der holden Geberin das blitzende Auge durchbohrte. Mit einem furchtbaren Satze und hochgehobenem Schwanze entfloh die Liesel der grausigen Stätte. Aber warum rührte sich Hans, der glückliche Schütze, nicht von der Stelle, um seine kostbare Beute einzusacken? Das hatte seinen guten Grund. Eben als er den verhängnisvollen Schuss losgedrückt, hatte ein Felsstück, das in gewaltigen Sätzen von oben herabgerollt kam, ihm das rechte Bein zerschmettert. Nur mit der grössten Mühe und unter furchtbaren Schmerzen konnte er sich zu der Stelle hinschleppen, wo die Schlange, seiner Meinung nach, liegen sollte. Aber er konnte weder Schlange, noch Krone, noch Kräuter finden. Alles Suchen war umsonst. Das schien ihm nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Jetzt wurde ihm auch klar, warum gerade in jenem Augenblick ein Stein sich über ihm lösen und gerade sein Bein zerschmettern musste. Offenbar hatte er es da mit anderen Mächten zu thun, und er schätzte sich bei seinem Unfall noch glücklich, dass er seine Tollkühnheit nur mit einem Beinbruche bezahlen musste. Wie leicht hätte der Stein ihm statt des Beines den Kopf zerschmettern können! Kaum war er nun mit seinen Betrachtungen auf dem Punkte angelangt, seine Lage als eine wohlverdiente und verhältnismässig gnädige Strafe anzusehen, so hörte er Tritte nahen und bald schaute das Gesicht Hubert's, des Schlossjägers, durch der Zweige Grün. Da dieser Hansen's Freund war, weil sie oft zusammen auf der Pirsch waren, so hoffte er mit Recht, dieser werde Hilfe holen, um ihn heimzutransportieren. Schnell waren auch, durch Hubert herzugerufen, zwei Schlossknechte da, die, unterstützt durch Hubert's Rat und That, ihn in seine Kammer trugen. Die Fragen nach den Ursachen seines Unfalls befriedigte er durch die Auskunft, es habe ihm auf seiner Suche nach einem verlorenen Rind ein, wahrscheinlich durch den Tritt eines Thieres losgemachter, Stein das Bein zerschmettert. Bald war der Schlossphysikus zur Stelle, der mit Hülfe der drei das Bein regelrecht verband, und so hoffte unser Abenteurer mit dieser Strafe davon zu kommen.

Allein sein Unterfangen hatte noch andere Folgen. Zwar konnte er durch seinen Buben sein Schiesszeug noch an demselben Abend holen lassen; allein das Schicksal seiner Liesel, der Lieblingskuh, beunruhigte ihn die ganze Nacht und er durfte, ohne Verdacht zu erregen, nicht einmal nach ihr fragen. Aber das war auch nicht nöthig; denn am folgenden Morgen kam schon sein Stellvertreter mit der Schreckenskunde, die Lieset sei wahrscheinlich krank, sie wolle nicht fressen und gebe keinen Tropfen Milch. In der That verweigerte das schöne Thier jede Nahrung und starb nach wenig Tagen. Den Grund kannte niemand als Hans; aber er hütete natürlich seine Lippen. Der Verlust seiner Liesel ging ihm so zu Herzen, dass er sich gelobte, in Zukunft gänzlich der Jagd zu entsagen und durch Treue in seinem Hirtenamte seinen letzten Jagdfrevel zu sühnen. Ob er's gethan, darüber schweigt die Geschichte.

Quelle: J. J. Jenzer, Heimathkunde des Amtes Schwarzenburg, Bern, 1869.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www. maerchen.ch

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