Jäggeli im Ofenloch

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

In mancher Bauernstube steht heute noch der alte Sandsteinofen aus Urgrossvaters Zeit. Noch immer spendet er Wärme und Wohlbehagen und ist zur Winterszeit der Mittelpunkt des häuslichen Lebens. Generationen haben ihre Spuren an ihm hinterlassen. Hundert und hundert Geschichten sind schon auf ihm erzählt worden. Unter diesen findet sich eine, in welcher der Ofen selber mitspielt. Hört sie:

Der Schuhmacher Jäggeli hätte eigentlich in Helfdergott daheim sein sollen, denn er besass nichts als ein überschuldetes Hüttlein und darinnen eine Stube voll Kinder. Obwohl er sein Handwerk gut verstand und fast Tag und Nacht arbeitete, konnte er den Rank doch nicht finden, um sich aus der Misere heraus zu winden. Das Einkommen reichte kaum hin, um die Familie zu ernähren. Die Schulden aber wuchsen von Jahr zu Jahr und drohten zuletzt, den armen Mann aus dem Hause zu drücken. Jetzt suchte er Hilfe bei den Verwandten. Doch diese spotteten: „Von anderer Leute Leder ist gut Riemen schneiden.“ Da ging er zu den Nachbarn. Auch diese fertigten ihn bös ab: „Dir Geld leihen? 0 nein! Die Schuld könnte man an den Kamindeckel schreiben“. Um das Mass der Bedrängnis voll zu machen, rührte sich endlich noch der Lederhändler in der Stadt. Er verlangte Bezahlung der Schulden und wollte keine Waren mehr „dings“ geben. Alles schien sich gegen Jäggeli verschworen zu haben, um ihn zu ruinieren. Was sollte er jetzt tun? Er fand keinen Ausweg mehr aus seiner Not.

Halb verzweifelt machte er sich eines Tages auf den Weg nach der Stadt. Er wollte den Händler noch einmal um Barmherzigkeit anflehen. Tief in Gedanken versunken wanderte er durch einen Wald. Da sprang plötzlich eine lange hagere Gestalt aus einem Gebüsch und versperrte ihm mit gespreizten Beinen den Weg. Der Fremde trug einen grasgrünen Rock, und auf dem hohen spitzen Hute wippte eine rote Hahnenfeder. Unter den buschigen Brauen glommen schwefelgelbe Augen, und am spitz vorstehenden Kinn baumelte nach Geissbockart ein langes schmales Bärtchen. Das war der leibhaftige Gottseibeiuns. Jäggeli erkannte ihn auf den ersten Blick. Mit meckernder Stimme begann der Böse zu reden: „Warum bist du so traurig? Was für ein Kummer drückt dich? Sag es mir, ich möchte dir helfen.“ Der Schuster antwortete tapfer: „Ich will nichts von dir. Ich kenne dich schon. Du bist der „Tüüner“ und willst mich verderben. Gib sogleich den Weg frei.“ Doch der Teufel liess ihn nicht gehen. Er zog ein Säcklein aus der Tasche, griff hinein, hob eine Handvoll Goldstücke heraus, schüttelte sie auf der Hand, dass sie wie Glöcklein klingelten und liess sie eins nach dem andern wieder ins Säcklein tröpfeln. Dann meinte er grinsend: „Geld fehlt dir, du guter Mann, nichts als Geld. Dieser Beutel wäre deine Rettung. Kannst ihn haben. Ich komme später gelegentlich einmal bei dir vorbei, dann musst du mir dafür eine ganz leichte Aufgabe lösen, und du bist frei. Die Sache wird dir sicher viel Spass bereiten.“ Mit diesen Worten drückte er dem Schuster das Säcklein in den Arm und verschwand.

Nun stand Jäggeli mitten im Wald auf der Strasse und hielt ein schweres Pünteli Goldstücke in der Hand. Er war von dem plötzlichen Erlebnis noch ganz verwirrt. Erst schüttelte er den Kopf - dann das Säcklein - dann wieder den Kopf - und wieder das Säcklein - und wusste nicht was beginnen. Schliesslich sagte er zu sich selbe: „Das Gold lasse ich nicht auf dem Wege liegen, sonst findet es am Ende noch einer, der es nicht nötig hat, und das wäre jammerschade. Meinetwegen soll der mit dem grünen Tschopen nur kommen und mir eine Aufgabe stellen, ich werde ihm schon zu antworten wissen, denn ich habe auch ein Hämpfeli Verstand im Kopf. Drum Jakob, greif zu, handle grosszügig und mache, dass du jetzt den Rank erwischest.“

Jäggeli wanderte frisch entschlossen der Stadt zu. Bald stand er im Laden des Lederhändlers. Jetzt wollte er einmal aus dem Vollen schöpfen und alles anschaffen, was ihm bisher gefehlt hatte. Doch der Händler kam ihm zuvor und fragte, ob er Geld habe. „Das will ich meinen,“ antwortete keck der Schuster und schüttelte das Säcklein. Der Klang des Geldes wirkte ein Wunder. Das Herz des Gestrengen hinter dem Ladentisch wurde weich wie Butter und seine Stimme süss wie Honig. Untertänig notierte er, was der Käufer wünschte: aller Arten Leder, vom harten Sohlleder bis zum glümpfigsten Kalbsleder, ferner Klingen, Feilen, Ahlen, Nägel, Zwecke, Leisten. Das alles - und was er von früher noch schuldete - zahlte Jäggeli mit glänzenden Goldstücken. Der Händler war voll Neugierde und fragte: „Habt Ihr eine Erbschaft gemacht?“ - „O nein“, antwortete der Kunde, „und gestohlen hab ich auch nicht. Nehmt das Geld nur ohne Bedenken an, es stinkt nicht.“

An diesem Tage begann für Jäggeli ein neues Leben. Das hemmende Bleigewicht der ewigen Geldnot plagte ihn nicht mehr. Frohsinn herrschte jetzt im Haus. Gar oft hörte man den Meister ein heiteres Lied singen oder pfeifen und im Takt dazu das Leder klopfen. Die Freude schaffte neue Arbeitslust und brachte endlich sichtbaren Erfolg. Die Schulden konnten abgewischt werden und die Familie gelangte zu einem bescheidenen Wohlstand. Alles ging gut. Jäggeli hatte endlich den Rank erwischt.

Doch halt - man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.

An einem schönen Sommertage befand sich der Schuster mutterseelenallein zu Hause. Frau und Kinder waren in den Wald gegangen, um Beeren zu sammeln. Jäggeli sass am Werktisch und schnitt das Leder für ein Paar neue Schuhe. Da stand urplötzlich der Teufel vor ihm und meckerte: „Guter Freund, deine Frist ist abgelaufen. Nun musst du die Aufgabe lösen. Gelingt dir das nicht, so gehörst du mir.“ Darauf nahm Satan den Schuster am Ärmel und zog ihn hinaus in die Küche. Dort riss er das eiserne Ofenbrett heraus und meinte: „Die Sache ist ganz einfach. Du kriechst jetzt da in den Ofen hinein, und wenn du wieder herauskommen kannst, ohne dass ich es sehe, so bist du frei.“

Der Schuster wurde bleich vor Schrecken und rief: „Du verfluchter Lügner, eine leichte Aufgabe hast du mir zugesichert, und jetzt verlangst du etwas ganz Unmögliches. Nein, da mache ich nicht mit. Fahr aus dem Haus, du alter, stinkender Geissbock, sonst …“ Der Teufel liess den Erzürnten nicht weiterreden. Er packte ihn kurzerhand am Nacken und am Hosenboden, stopfte ihn wie eine Reiswelle in den Ofen, drückte das Brett zu und hielt davor Wache.

Der arme Jäggeli. Da liegt er nun bäuchlings im engen finstern Ofenloch, allseits umgeben von russigen Sandsteinwänden. Wie eine Maus in der Falle kommt er sich vor. Was soll er jetzt tun? - Vorerst den Mut nicht verlieren und ruhig Blut bewahren. Dann jenes Hämpfeli Verstand hernehmen und sinnen und suchen. Vielleicht gibt es noch einen Ausweg. Vielleicht…?

Der Gefangene streckte beide Hände nach vorne und tastete die Ofenwand ab. Da fanden seine Finger eine viereckige Vertiefung. Was mochte das wohl sein? Aha! Das war der „Ofenstein“. Die alten Sandsteinöfen besassen nämlich an der Vorderwand eine handgrosse viereckige Öffnung, die zum Russen diente. Dieses Loch wurde von der Stube aus mit einem genau passenden Steine verschlossen. Jäggeli schlug nun ein paarmal mit der Faust daran. Der Stein gab nach und rollte auf den Stubenboden hinaus. Licht drang durch die kleine Öffnung. Hell wurde es auf einmal im Gefängnis, hell auch im Kopfe des Gefangenen. Plötzlich sah er einen rettenden Weg. Mit lauter Stimme jauchzte er durch das Russerloch in die Stube hinein:

„Juhui! Juhui! Chräbli, chom iha - i bün i der Stuba!“

Als der Teufel das hörte, sprang er mit einem Satz zur Küche hinaus, sauste wie’s Bisenwetter durch den Hausgang und stürzte mit der Türe in die Stube. - Es war niemand da. Diese wenigen Sekunden wusste Jäggeli zu benutzen. Er drückte mit den Füssen das Ofenbrett hinaus und mit zwei drei ruckartigen Bewegungen kroch er rückwärts aus dem Ofen. Von Russ und Asche besudelt stand er jetzt inmitten der Küche und rief so laut er konnte:

“Juhui! Juhui! Chräbli, chom usa, - i bün i der Chuchi!”

Im nächsten Augenblick stürmte der Satan in die Küche. Jäggeli ergriff die Ofengabel, stellte sich drohend vor seinen Widersacher und sprach: „Du hast mich nicht herauskommen sehen. Du hast den Handel verloren. Nun mache dich flugs aus dem Hause, oder ich steche dich an.“ Der Teufel fluchte und stampfte vor Wut. Dann verwandelte er sich in stinkenden schwarzen Rauch und entwich durch das Kamin. Er zeigte sich nie mehr.

So also hatte der Schuhmacher Jäggeli den Teufel überlistet. Die Kunde davon wanderte von Mund zu Mund durchs ganze Land, und wo immer zur Winterszeit Menschen auf einem warmen Sandsteinofen traulich beisammen sassen, da erzählten sie diese Geschichte. Und wenn jemand in eine verzweifelte Lage geriet, aus der es keinen Ausweg mehr zu geben schien, dann pflegten unsere Voreltern zu sagen: „Der ist fast so schlimm dran wie Jäggeli im Ofenloch.“

 

Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch

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