Die Mordnachtsage «No e Wili»

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

«[1478] Daß die Stadt Stein, sint ihrem Auskauff von den Klingenbergeren, so steiff und redlich zu den Eidsgenossen sich gehalten, solches erwekte in dem Hertzen des Hegeüischen Adels einen bitteren Haß und suchten dahero Gelegenheit, wie sie selbige wiederum in ihre Gewalt bringen möchten: Weilen ihnen aber, eine offenbare Gewalt zu gebrauchen, undienlich und zu gefährlich schiene, suchten sie mit List und Gewißer Verrätherey solches zu bewerkstelligen. Hierzu nun sahen sie vor [= für] das beste Mittel aus, wann sie könnten einige Burger durch Gelt gewinnen und auf ihre Seiten bringen, welches ihnen auch so wohl gelungen, daß sie den Burgermeister selbst, durch eine Summe, hierzu bestechen können, daß er ihrem Vorhaben favorisirt. Es hat auch das Ansehen, daß von den Hegeüeren einige Consorten in die Stadt practicirt worden, um das Werk desto sicherer ausführen oder bey sich aüßerndem Anstoß und Fehlschlag die andern in Zeiten wahrnen zu können.

Gleichwie aber braüchig, daß bey militärischen Handlungen, um Freünde vor Feinden kennen zu können, sonderlich bey der Nacht, ein gewüßes Wort zum Zeichen gegeben wird; also führten auch die Conspiranten das Losungs-Wort: Noch eine Weil.

Nachdeme nun alles eingefädelt ware, was zur Einnahm und Ueberrumplung der Stadt dienlich erachtet wurde, ward der Angriff declariert, der Sammel-Platz auch zum Theil in Eschentz gehalten, und sollte mit frühem Morgen, wann Tag und Nacht sich scheiden will, von der Rhein Seiten her, bey und um das so genannte Welschen-Thürlein, die Stadt bestiegen werden. Allein der oberste Wächter und Hüter Israels sorgte vor die Stadt, und hieß es hier: Wann Sie’s aufs klügste greiffen an, so geht doch Gott ein andre Bahn, steht all’s in seinen Händen. Die Conspiration wurde noch zu rechter Zeit entdekt, wormit es folgender Gestalten hergegangen seyn solle: Im Schaubmark wohnte in dem Haus, welches dißmahlen dem SaltzMstr. Hans Jacob Bart gehöret und von langen Zeiten her eine Pfisterey [= Bäckerei] und hernach bis auf deßen Possession eine Kupffer-Schmitten gewesen, ein Bek, welcher einen Knecht oder Lehr-Jungen gehabt, der von der Conspiration vollkommen informirt gewesen seye, sich aber nicht so wohl zu verstellen gewüßt habe, daß der Meister nicht etwas unrichtiges hette wahrnehmen können. In dieser Opinion nun seye auch der Meister dardurch gestärkt worden, weilen er gesucht, auf ein unbraüchige Weise von gedachtem Meister hinweg zukommen. Doch gleichwohl habe dieser treülose Hegeüer nicht über das Hertz bringen können, seinen Meister in solche Gefahr gerathen zu sehen, und weil er gewahret, daß man ihme nicht allzuwohl traue, habe er ihme den gantzen Handel entdekt und selbigen vor dem Unfall gewahrnet. Weil es nun eben die Zeit gewesen, da der Hegaüische Adel im Anmarsch begriffen ware, habe der Meister fleißig vigilirt, seine Mitmeister aufgemahnet, die gantze Stadt in allarm gebracht und, weilen er das Wortzeichen gewüßt, die Hegeüischen so lange aufgehalten, bis die gantze Burgerschafft in Waaffen und zu behörigem Empfang dieser ungebetenen Gästen bereitet gewesen. Hierauf seyind die Feinde aller Orten angegriffen, in Unordnung und Confusion gebracht, ihrer eine zimmliche Anzahl niedergemachet, von der Stadt abgetrieben und diese also nochmahls des Hegeüischen Adels und ihres Jochs entlediget worden.

Diese Relation habe hieher gesetzt, wie sie vor etlichen Jahren von einem alten Rathsherren erzehlt worden, welcher vorgegeben, daß er solches selbsten in der Cantzley gelesen habe: Wir haben aber dorten hiervon bis dato nichts finden können, daß wir die umständliche Hergangenheit der Sachen communiciren könnten und mangelt auch so gar das Protocoll etc.

Es ist jedoch die Haupt-Sache gewiß und dem Bürgermeister ein kurtzer Proceß gemacht worden, maaßen selbiger, nach damahlig üblicher Weise, in einen Sak geschoben, über die Rhein-Bruk hinunter gestürtzt und ersäufft worden. Wer aber dieser gewesen, stehet dahin.

Von obbedeüter Conspiration und darbey geführtem Loosungs-Wort kommt es her, daß bis auf den heütigen Tag alle Morgen, wann Tag und Nacht scheidet, zu dieser Geschicht ewigem Angedenken, von dem Gaßen-Wächter: Noch ein Weil, noch ein Weile, muß geruffen werden.

Die Beker haben auch, ihrer getreüen und dapfferen Aufführung wegen, dieses Privilegium erhalten, daß sie alle 3. Jahr mit fliegendem eigenem Fahnen und klingendem Spiel, wiewohl auf ihre Kösten, einen Umzug in der Stadt halten dörffen. Worbey sie nicht unterlaßen, das Stammhaus ihrer Freyheit, in ermeldtem Schaubmark, mit einem Salve zu beehren.

Und wann ein Meister vom Lobl. Beker-Hand-Werk oder ein Müller, als welche Profession sie auch in ihr Collegium aufgenommen, Hochzeit hält, so wird der Fahne gleichfahls ausgestekt.»

(Stein am Rhein)

 

 

Aus: R. Frauenfelder, Sagen und Legenden aus dem Kanton Schaffhausen, Schaffhausen 1933.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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