Das himmlische Rathaus

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Sassen da vor alten Zeiten im Schloss zu Sargans ein paar späte Gäste beisammen und freuten sich noch am Küng und Ass und Schellenunder, redeten dazwischen auch manches Erspriessliche von den Zeitläufen und von den Regierungen und tranken ein Schöpplein Oberländer und noch eins. Und wie sie allmählich ans Heimgehen denken mussten, und der steile Schlossweg ihnen zu Sinn kam, so dass sie das Aufstehen immer wieder vergassen, da geht die Tür auf, weit auf, bis die Falle an der Wand anschlägt, und bevor sie nur wieder im Gericht sitzt, steht auch ein Weibel in weiss-blauer Farbe am Wirtstisch und befiehlt einen Dreier Veltliner und einen Teller Käs und Brot, aber er habe nicht einmal Zeit zum Absitzen, und wenn das Schenkmädchen nicht Beine machen wolle, so verschwinde er wieder, bevor sie nur den Hahn gedreht. Schnaufend und keuchend blies er die Backen auf und fuhr mit dem Schnupftuch übers Gesicht.

«Nun, so pressiert’s denn doch wohl nicht, Weibel?» meinte der Ammann, denn der sass auch bei der Kundschaft, «im Stehen zu essen, sei ungesund, heisst es seit altem, und zudem wär’s schade für den guten Roten, den der Wirt im Fass hat. Und übrigens, weshalb habt Ihr denn keine Zeit, Weibel?»

Der Weibel knurrte etwas Unverständliches. Als sie aber näher in ihn drangen und herauszubringen suchten, von welcher Regierung er des Laufes käme, denn Zürichs Farben seien schräg gestellt, sein Weiss-Blau aber quer, da setzte er sich auf einen Augenblick, nicht ohne einen Blick zum Himmel geworfen zu haben, und sagte: «Wenn ihr’s partu wissen wollt - vom Himmel komm’ ich. Ich bin des Herrgotts Landweibel. Nichts für ungut!»

Über dieser Rede wunderten sie sich und vermeinten, der Mann treibe seinen Scherz mit ihnen. Doch da er darauf bestand und den Dreier und den Teller Käs und Brot ich weiss nicht wie herunterass, so frugen sie ihn nach seinem Auftrag auf der Erde und nach dem Grund seiner Eile; denn die Eile sei verwunderlich, da es doch immer heisse, Gottes Mühlen mahlten langsam und auch im Himmel werde wohl nichts so heiss gegessen, wie es angerichtet sei.

Der Weibel trank den letzten Schluck, und als er sich anschickte, die kleine Zeche zu bezahlen, so hielt jeder der Gäste und der Wirt es für wohlangebracht, den kleinen Betrag für ein Vergeltsgott einzurechnen, und der Weibel war damit einverstanden. «Aber wir Sarganser sind gwundrige Leute —», begann der Ammann noch einmal - «Nun, so brauch ich’s ja weiter nicht zu verheimlichen, und der Herrgott wird’s mir nicht ankreiden!» Die Sache sei so: Die zu Glarus haben vor kurzem ein neues Rathaus gebaut, und seither liessen die Engel dem Herrn keine Ruhe und wollten auch ein neues, denn das himmlische Rathaus sei noch zu Noahs Zeiten gebaut worden und gefiele keinem Menschen mehr, geschweige denn Engeln. Und da der Herrgott heute seinen guten Tag hätte, so habe er ihm befohlen, so rasch als möglich nach Glarus zu eilen um dort das Mass zu nehmen, wie lang und wie breit und wie hoch, denn das himmlische Rathaus müsse akkurat so werden wie das irdische, weil ein Glarner auf den Eid geschworen hätte, ein noch schöneres Rathaus zu bauen, brächte nicht einmal der Liebe Gott fertig! Der heilige Fridolin habe ihm besondere Grüsse an die Gnädigen Herren und Obern zu Glarus aufgetragen, und das sei ein genauer Herr, der sich im Lande auskenne und auch im Zeitmass!

So kamen die Sarganser aus ihrem Gwunder und manch einer von ihnen hat hinterher wie von selber das Glarnerland besucht und gefunden, dass wahrhaftig der Läufer nicht übel beraten war.

Anno 1861 freilich ist das Rathaus trotz alledem in einer Föhnnacht abgebrannt, und das himmlische wird, so denk ich, das schönste geblieben sein.

 

Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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