Die Gottwergini von Oberems

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Im dichten Tannen- und Föhrenwald von Oberems hatte sich ein zahlreiches Zwergenvolk, die Gottwergini, eingenistet, von dem gute und schlimme Dinge erzählt wurden. Wenn die Dörfler sich bei einem Feste belustigten, suchten die Zwerge sie zu überlisten. Zur Fasnachtszeit veranstaltete die Jungmannschaft des Dorfes ein gros­ses Tanzfest. Die Zwerge wollten diese gute Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne diesem oder jenem einen Streich zu spielen. Der Gewalthaber hatte ein fettes Schwein im Stalle, das am näch­sten Tag geschlachtet werden sollte. Auf dieses Schwein hatten die Zwerge es abgesehen. Sie sandten drei ihrer Genossen mit dem Auf­trag ins Dorf, sich bei der lustigen Tanzgesellschaft einzuschleichen und bei günstiger Gelegenheit den guten Fang zu tun. Die jungen Dörfler, die sich im Tanze belustigten, liessen die Zwerge gewähren und hatten ihre Freude an den kleinen Waldbewohnern, die wie toll unter den Tanzenden herumhüpften. Nach einer Weile, als die Fröhlichkeit den Höhepunkt erreicht und der Wein die Köpfe er­hitzt hatte, schlich sich der eine der kleinen Tänzer fort und brachte das Schwein in Sicherheit. Dann kehrte er zu dem Tanzlokal zurück, öffnete die Tür und rief hinein: «Monifang, wo hat der Darm sin Anfang?» Die zwei Kameraden, die sich hüpfend im Kreise bewegten, ant­worteten lachend: «Magen, Magen» und verschwanden eiligst. Als am nächsten Tag der Gewalthaber das Schwein schlachten wollte, hatten die Zwerge es schon verzehrt.

 

Einer der Zwerge stieg eines Tages nach Ems hinunter, um die Kräuterfrau zu seinem kranken Weibe zu holen. Sie begleitete das Männchen hinauf zu der Höhle, wo das kranke Weiblein auf einem Bündel Stroh und Tannenreisig lag. Als sie ihre Arbeit verrichtet hatte, schüttete ihr der Zwerg zur Belohnung ein Häuflein Kohlen in die Schürze, indem er sagte, sie solle Sorge dazu tragen und unter­wegs nichts davon verlieren. Dann begleitete er sie noch ein Stück weit abwärts. Die Kräuterfrau fand den Lohn sehr gering, und als der Zwerg zurückblieb, hielt sie die Schürze nur noch lose an den Zip­feln und liess die Kohlen nach und nach hinausfallen. Da hörte sie hinter sich die Stimme des Männchens:

«Wie mehr du zatt (streust), Je weniger du hatt!»

«Der soll nur schreien, der Filz», dachte sie und liess wieder einige Kohlen fallen. Zu Hause angekommen, warf sie das letzte Stück, das ihr noch geblieben war, auf den Herd. Aber das glänzte wie Gold. Schnell griff sie danach, und die kleine Kohle war wirk­lich pures Gold geworden. Ohne langes Besinnen lief die Frau zu­rück um die verstreuten Kohlen wieder aufzulesen, aber sie fand kein einziges Stück mehr.

 

Ein Bauer, dessen Hütte hinter dem Emserwald am Fuss starr aufragender Flühe lag, hatte ein kleines Kind erhalten. Er war in grosser Sorge, wen er zum Paten nehmen solle. Verwandte hatte er keine, und da er noch nicht lange hier oben wohnte, besass er auch keine Freunde über dem Walde. Da ging er eines Sonntags hinauf in den Wald, wo die Zwerge hausten und bat einen derselben, dem Kinde Pate zu sein. Der Zwerg war hoch erfreut ob der Ehre, be­dauerte aber, dem Kinde kein Geschenk geben zu können, da er arm sei. Er besitze freilich etwas, das ihm einst nützlich werden könnte. Er verschwand in der Höhle, brachte eine kohlschwarze Wurzel heraus und sagte: «Wenn dir einmal die Ernte missrät, so wirf dem Vieh im Stall gehörig Futter in die Barre, verteile die Wurzel unter deine Familie, damit jedes ein Stücklein davon isst, grabt euch im Heustock ein tiefes Loch, kriecht hinein und deckt euch recht warm zu. Aber ihr werdet über meine Rede doch nur lachen!» Der Zwerg band die Wurzel sorgsam mit dürrem Laub ein, als ob sie Gold wäre und machte ein gar ernsthaftes Gesicht dazu. Der Bauer lachte wirklich über die drollige Rede des Zwerges, und als er zu Hause die Wurzel aus dem Laube herausschälte und wieder­holte, was der Zwerg gesprochen, lachte die Familie mit.

Jahre verstrichen, und die Wurzel fiel in Vergessenheit. Da gab es einen schlechten Sommer. Das Korn missriet, eine schreckliche Dürre herrschte bis in den Herbst hinein, für die Schweine gab es keine Futterabfälle, für das Vieh fast kein Heu, und die Schafe hatte eine Lawine verschüttet. Die Familie war in grosser Not und gedachte mit Schrecken des langen Winters und ihrer Mittellosigkeit. Da erinnerte sich der Bauer des Patengeschenks des Zwerges. Er dachte, versuchen könne man es immerhin mit der Wurzel, giftig werde sie nicht sein, und wenn sie nicht helfe, so schade sie auch nicht. Er holte die Wurzel, die dürr und hart wie Leder geworden war, aus dem Schränklein, zerteilte sie und gab einem jeden ein Stück­lein zu essen. Hierauf warf er den Tieren die Barre voll, so viel er nur hineinstopfen konnte, ging zum Heustock, grub für sich, seine Frau und die Kinder ein grosses Loch, deckte alle warm zu und sich ebenfalls, so dass der Kopf nur von der Nase aufwärts frei war, dann wurde es still, und alle schliefen ein. Es war im Spätjahr.

Als sie erwachten und durch die Balken des Scheuerleins hin­durchguckten, grünten draussen die Wiesen. Sie erhoben sich und gingen hinaus. Der Schnee hatte sich schon auf die Berge zurück­gezogen, das braune dürre Laub der Buchen war verschwunden, und ein helles Grün leuchtete aus den dunklen Tannen. Sie hatten wahr­haftig den ganzen Winter hindurch geschlafen. Der Zwerg hatte ih­nen ein Patengeschenk gemacht, für das sie ihm grossen Dank schul­dig waren. Der Bauer ging auch schon am nächsten Tage hinauf in den Wald, aber die Höhle war leer; die Zwerge waren alle fort­gezogen.

 

Nach Jahren kehrte bei einem Bauersmann in Ems wieder ein Zwerg ein, der um Arbeit anhielt. Es war zur tiefsten Winterszeit, wo man das Vieh in die Voralpen hinauftrieb, um das dort gesam­melte Heu zu füttern. Der Zwerg bat, ihm diese Arbeit zu übergeben und gelobte, die Herde um geringen Lohn stets getreulich besorgen zu wollen, nur bei schlechtem Wetter nicht. Der Bauer stellte ihn ein, und der Zwerg verrichtete die Arbeit zur vollen Zufriedenheit seines Meisters. Wenn es schneite und stürmte und der Regen peitschte, stieg der Bauer in den Sass, um den Zwerg abzulösen, denn bei schlechtem Wetter wollte dieser nicht arbeiten, das hatte er ja ein­bedungen, aber da fand er jedesmal das kleine Männchen pfeifend und singend bei der Arbeit; da ging der Meister denn wieder weg, und dachte, der Zwerg hätte es nur zum Spass gesagt.

Im März erhob sich ein starker Föhn, der die Schneemassen gierig aufsog. Da grub der Zwerg schnell ein tiefes Loch in den Heustock, schlüpfte hinein und hielt sich drei Tage lang still, Als der Bauer zufällig bei der Hütte vorbeistrich und einen Blick in den Stall warf, fand er das Vieh halb verhungert, und vom Hirten zeigte sich keine Spur. Nach langem Suchen entdeckte er ihn im Heu. Er zog ihn am Kragen heraus und fuhr ihn an, warum er das Vieh im Stich gelassen habe, das Wetter sei doch nicht schlecht. Da jam­merte der Zwerg und sagte:

«Alles Wätter wäre zähm, Wenn der Wind nit chäm!»

Der Bauer solle nur einen Kübel voll Wasser aufs Feld stellen, dann werde er sehen, wie schnell der Wind das Wasser aufsauge, und so trockne er ihm das Blut in den Adern und das Mark im Gebein.

 

In der Roggenmühle zu Ems hielt einst auch ein Zwerg um Arbeit an. Der Müller sagte, wenn er ihm die Mühle gut besorgen wolle, so könne er ihm schon Arbeit geben. Der Gottwerg versprach um ge­ringen Lohn gut und brav zu dienen, und da stellte ihn der Müller an. Der Zwerg hielt getreulich Wort. Vom ersten Hahnenschrei bis zum späten Abend schaffte er in der Mühle, stand noch des Nachts auf, um das Klapperwerk nachzusehen, und die Mühle klapperte und verrichtete das Doppelte der Arbeit. Als das Jahr um war, dachte der Müller, er wolle dem Zwerg ein schönes Geschenk machen, damit er auch sehe, wie sehr ihn seine Arbeit befriedige und wie hoch er ihn zu schätzen wisse.

Da der Zwerg in Lumpen gekleidet war, liess er ein schönes mehl­farbenes Kleid aus bester Schafwolle anfertigen und gab es dem Zwerg, der vor Freude hüpfte und schnell in der Mühle verschwand. Dort zog er die Lumpen aus, schleuderte sie in den Mühlebach, zog das neue Kleid an, betrachtete sich wohlgefällig und sagte:

«Jetzt bin ich ein schöner Mann, Dass ich nicht mehr mahlen kann!»

Es gefiel ihm auf einmal nicht mehr in der staubigen Mühle und ohne vom Meister Abschied zu nehmen, reiste er fort in die weite Welt. Der Müller eilte ihm nach, konnte ihn aber nirgends mehr finden.

 

Ein Oberemser Bursche hatte die Tochter eines Zwerges, namens Türliwirli, geheiratet. Vor der Hochzeit bat ihn die Tochter, sie nie beim Namen zu nennen, was der Bursche auch gelobte. Sie bekamen zwei Kinder und lebten glücklich miteinander. Als die Kinder sechs­- und siebenjährig waren, ging der Mann anfangs Juni ins Alpwerk. Wie er bei seinem Ackerlein vorbeiging und das Korn so schön stand, rechnete er im stillen den Ertrag der Ernte zusammen.

Als er zu später Abendstunde nach Hause zurückkehrte, sagte die Frau, heute hätte sie böse Zeit gehabt; diese Nacht werde es gefrieren, und da habe sie das grüne Korn geschnitten und zwischen Tannenreiser gelegt. Der Mann fuhr auf und rief in hellem Zorne: «Du vermaledeites Türliwirli!»

Er wollte noch mehr sagen, da war sie schon zur Tür hinaus und verschwunden. Am Morgen aber lag ein dicker Reif auf den Fluren, und die Saaten der Nachbarsleute gingen alle zugrunde; der Bauers­mann aber konnte sein Korn dem Vieh als Futter vorwerfen, das doppelte Milch erzeugte. Da bereute er sein rasches Wort und hätte seine Frau gerne um Verzeihung gebeten, aber sie war weg. Er ging jeden Tag ins Tal hinunter zur Arbeit und kam gegen Abend wieder nach Hause. Die Kinder liess er daheim. Da trat, wenn er fort war, die Mutter schnell zur Tür hinein, wusch und kämmte die Kinder und räumte die Stube auf. Als der Vater heimkam, erzählten ihm die Kinder, dass die Mutter da gewesen sei. Er gebot ihnen, sie zu bitten, sie möchte doch wieder zurückkommen. Die Kinder richteten die Bitte aus, aber die Mutter wollte nichts davon wissen. Da beauf­tragte der Mann einen Freund, die Tür abzuschliessen, sobald die Mutter hineingeschlüpft sei und ihn zu rufen. Der Freund führte den Auftrag aus und rief den Mann, der in der Nähe gewartet hatte. Dieser schloss das Haus auf, flehte seine Frau um Verzeihung und bat sie, ihn nicht mehr zu verlassen. Die Frau blieb nun im Hause und lebte noch lange Jahre glücklich mit ihrem Manne.

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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