Die Zauberspeise

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Die Zauberspeise

In einer Spinnstubeten in Isikon bei Hittnau erzählte Becken Rägeli von ihrer Grossmutter im Rick bei Pfäffikon eine absonderliche Geschichte, die jene Grossmutter als Kindermädchen in Zürich wahrscheinlich um die Mitte des 18. Jahrhundert selber erlebt haben will.

Meine Grossmutter hiess Mariann. Sie diente bei einer reichen Herrschaft in der Stadt. Aber ihr Herr war, Gott behüte uns davor, ein Zauberer, denn in den Städten hat es grausam viele Zauberer und Schwarzkünstler, und unter den reichsten Herrenfrauen gibt es Hexen, und manche Jungfer sei dorten eine Hexe und könne den Leuten allerhand antun und machen, dass die jungen Herren ihnen müssen nachlaufen. ob sie wollen oder nicht.

Da bringe eines Morgens der Herr der Magd etwas zu kochen; es habe ausgesehen wie ein Fisch, es war aber kein Fisch. Er habe ihr ernst befohlen, dass das Geköch punkt 12 Uhr auf einem schwarzen Teller auf dem Tische stehen müsse. Bei Leib- und Lebensstrafe dürfe sie nichts davon essen. sonst gehe es ihr schlimm. Die Magd habe getan, wie der Herr befohlen. Es sei sie aber ein so grosses Gelüste angekommen, dass sie gemeint habe, jeden Augenblick müsse sie von dem seltsamen Dinge kosten. Sie habe sich jedoch tapfer halten können und kein Bisschen davon gegessen.

Just als sie beim Anrichten gewesen, sei unversehens der Kutscher in die Küche getreten und habe gefragt: „Potz Blitz, Mariann, was kochst?“ „Johann“, hat die Grossmutter geantwortet, „das darfst du beileibe nicht wissen, geh weg und hinaus, es ist besser für dich!“ Der Kutscher war aber, wie er das Geköche gesehen, davon bezaubert und wollte nicht von der Stelle, bis ihm Mariann alles erzählt hatte. „Der Teufel wird mich deswegen nicht nehmen“, meinte Johann, „gib, ich will nur die Kelle ablecken!“ Er riss ihr die Kelle aus der Hand, leckte sie schnell ab und rannte lachend davon.

Schlag zwölf trug Mariann den schwarzen Teller dem Herrn aufs Zimmer. Der setzte sich zu Tische, und die Magd lief aus Furcht davon. Am Nachmittag habe der Johann den Herrn und die Frau müssen spazieren fahren. Da begegneten sie einer Schar Enten. Mächtig sei Johann erstaunt gewesen, als er diese Vögel reden hörte: „Wir müssen diesen Narren aus dem Wege fliehen!“

Weil Johann von dem Ding gegessen hatte, konnte er die Tiere reden hören. Das gekochte Tier soll eine Hausnatter gewesen sein. Wenn einer von einem solchen Geschöpf essen könne, so verstehe er alle Tiere, denn jedes habe eine Sprache.

Sie seien dann weitergefahren. Da komme ein Herr zu Pferd, und als das Pferd vorbeilaufe, habe es zu des Herren Pferden gesprochen: „Euer Herr ist auch ein Ehebrecher wie der meine.“ Bald darauf seien ein paar Elstern vorüber geflogen und hätten gerufen: „Das ist auch eine recht schlimme Frau, die da in der Kutsche drin hockt!“

So hat der Johann von selbem Tage an alle Tiere verstanden. Aber wenn sein Herr davon etwas inne geworden wäre, hätte er den Kutscher auf der Stelle erschossen.

Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Stadt Zürich und Zürichsee
Nach Stutz, S. 73, mit unbedeutenden stilistischen Änderungen

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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