Erlisbacher Dorfthier

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Es schiebt sich in Gestalt eines geladenen Heuwagens selber in den Wiesenbach Wütherich, welcher vom Dorfe aus in die Aare geht; bei jeglicher Begegnung schrumpft es aber sogleich in einen Hund zusammen und heisst alsdann der Dorfpudel. Dieser, schwarzzottig, von der Grösse eines Mastkalbes, den Schweif am Boden nachschleppend, hat feurige Augen gleich den runden Scheiben eines Bauernfensters. Wenn an jener Ackerstelle, wo das Thier in den Wütherichbach geht, das Getreide besonders schön golden reift, oder auch wenn es in den Aehren auswächst und schwarz wird, so hält man dies für die Wirkung der Feueraugen, mit denen der Geist die Fruchtfelder misst.

Zwei Dorfbuben hatten hier einst Korn vom Feld gestohlen und meinten es hinter den Knochen des Beinhauses auf dem Erlisbacher Kirchhofe zu verstecken. Als sie aber von dem mannshohen Knochenhaufen wieder herunter steigen wollten, waren Beiden die Füsse plötzlich dermassen mit Schwären überdeckt, dass sie nicht mehr weiter kamen und gefangen wurden. In diesem Beinhause hat es besonders seinen Sitz, es geht von da mitten durch die Kirchhofsmauer hindurch und halbwegs bis zum nahe gelegenen katholischen Pfarrhaus; da aber kehrt es gleich wieder um, denn ein Wohnhaus betritt es niemals, und wendet sich zu dem alten Gebäude neben der Kirche, das ehedem eine Schaffnerei gewesen ist.

Die Herren von Bern hielten hier, so lange sie das Land noch regierten, ein Faselschwein und einen Wucherstier für Jedermann aus der Gemeinde, ausserdem stand noch eine Kuh im Stalle, von der eine jede Wöchnerin täglich ihre Mass Milch bekam. Oben war eine Getreideschütte, von der die Armen ihr Saatkorn unentgeltlich nehmen konnten.

Von alle dem ist nichts mehr übrig als dieser Dorfpudel. Alljährlich läuft er zweimal langsam ins obere Dorf. Er thut es nur zur heiligen Zeit und hält dabei seinen Weg so gewissenhaft ein, daß Niemand zu Schaden kommt, der um dieselbe Zeit nur eben diese Richtung meidet. Gesellschaft und Gespräch verscheucht ihn nicht, auch kein Geistlicher kann ihn bannen. Geräth ihm aber Jemand in seine Bahn, so erheben sich augenblicklich ringsum hohe Mauern, vor denen man bis zum Frühläuten rathlos liegen muss, um endlich mit einem geschwollenen Kopf wieder heimgeschickt zu werden.

Er kam einst zwischen zwei Männer hinein gelaufen, die zusammen von Stüsslingen her ins Dorf giengen. Schauerlich murmelnd, als ob er reden wollte, wanderte er bei zweihundert Schritt weit mit ihnen fort. Als ihn einer der Beiden schärfer betrachtete, konnte er nichts anderes an ihm gewahren, als eine sonderbare zackige Kopfbedeckung, dem Messkäppchen der Kaplane ähnlich. Man sagt dann auch, das Thier sei ein ehemaliger Dorfpfarrer, der ein kirchenräuberisches und wüstes Leben geführt habe. Drunten in den Aarmatten beim letzten Dorfhag kommt das Thier am öftesten hervor, wenn die Witterung ändert. Da schwimmt es rauschend eine Strecke weit in der Aare herab und steigt dann herauf in den Dorfbach, um da zu „woddeln“. Diesem Geräusche aber muß man entweichen, es erschüttert einem das Blut, dass es dick wird.

Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 105

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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