Die sumpfige Waldgegend, welche Breitsee heisst, war einst ein See. Jetzt stösst da die Grenze des Waldbannes zweier Frickthaler-Gemeinden zusammen, von Wallbach und Möhlin. Ringsum waren die Seeufer futterreiches Land und heiteres Laubgebüsche, und eine Jungfrau von besonderer Schönheit pflegte hier ihre Spaziergänge zu machen. So lange das Frickthal noch unter Oesterreich stand und es üblich war, die Heerden in den Wäldern treiben zu lassen, waren die Weidbuben ganz vertraut mit dieser Jungfrau und liessen sich von ihr oft bis zum Rande des Forstes heim begleiten; oder wenn sie zuweilen hier aus einem Mittagsschlummer erwachten, lag das Mädchen arglos mitten zwischen ihnen. Sie trug einen Schinnhut, wie er vor Zeiten in diesen Gegenden gewöhnlich war, und weisse oder grüne Schürzen. Oft aber kam sie in flatternden blonden Haaren, in denen ein frischer Kranz lag. Geredet hat sie niemals.
Die heutigen Erzähler vermuthen in ihr eine Braut, die auf dem Heimwege von ihrer Hochzeit hier am Ufer des angeblichen Breitsees versank oder ermordet wurde.
Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 149
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchen.ch.