Der lange Gletscher 1

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Zur Zeit, wo der Ewige Jude zum ersten Mal ins Wallis gekommen ist, hat das Lötschental noch Lichttal geheissen. In den Hochtälern reifte damals der Wein, und Matten und Alpen erstreckten sich bis an die höchsten Berge. Keine Gletscher lagen auf den Pässen und keine Firnen an den Gräten. Hören wir, was der Ewige Jude von dieser Zeit erzählte:

«Damals gehörte das Lötschental zwei Schwestern, und die wollten es teilen. Sie haben die March mitten über Kühmatt gezogen und das Los geworfen. Diejenige, welcher das untere Tal zufiel, sagte zu ihrer Schwester mit Tränen in den Augen: «Liebe Schwester, du hast das bessere Los gezogen: ich habe Wald und Berg, du hast die Matten und die Wiesen.» Der Wiesengrund reichte damals bis in die Lötschenlücke. In dem Gletschergrund fand die Hirten keinen Stein, um ihn nach den Kühen zu werfen, und auf dem Tschorrä liessen die Faflerinnen ihre Kühe acht Tage weiden. Durch die Schuld der Menschen ist heute diese Herrlichkeit zum grossen Teil unter Gletscher und Geröll, Schnee und Schutt begraben.

«Als einmal ein fahrender Schüler im Frühling in euer Tal gekommen ist, hat er auf der Faldumlawine ausgerufen: «Welch ein schönes Tal.» Die Lötscher seufzten:

«Du solltest unsere Wiesen im Sommer sehen, wenn sie unter der sengenden Sonne verbrennen. «Dem weiss ich Rat», meinte der Fremde; es war aber ein Rat, den er besser behalten hätte. «Eine reine Jungfrau suche Stücke von sieben Gletschern und lege sie zuoberst im Tale nieder, dort wo die Berge einander am nächsten kommen, und ihr werdet Wasser haben zum Wässern und zum Trinken. Wenn aber die weisse Kuh ins Tal steigt, dann flieht vor ihr.» Die letzte Rede haben die Lötscher damals nicht verstanden, sonst hätten sie Rat Rat sein lassen. Eine reine Jungfrau suchte Stücklein von sieben Gletschern und legte sie zuhinterst im Tale nieder, in der Lötschenlücke. Die sieben Stücklein sind nicht geschmolzen, und heute ist die weisse Kuh stundenlang gewachsen und heisst der Lange Gletscher. Eure Väter hätten sollen die göttliche Vorsehung walten lassen und nicht die Kunst der bösen Menschen.

Quelle: J. Siegen, Sagen aus dem Lötschental, Erweiterte Ausgabe der Gletschermärchen (1905), Lausanne 1979.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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