Der Ursprung des Kuhreigens

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Vor Zeiten war auf Bahlisalp im hinteren Stafel ein Hirt namens Schlupf-Menk. Als er einst um Mitternacht auf seiner Gasteren vom Schlaf erwachte, hörte er unter sich in der Küche das Feuer knistern. Aufspringen und Zusehen, was es da geben möge, war eins. Was sieht da der Senn! Stehen da drei Burschen, die eben anfangen zu käsen, um die Feuergrube. Vor Schreck vergisst der Senn die Scheltworte ganz, die ihm auf der Zunge sind, denn der erste von den Dreien, der eben Milch hereinholt, ist ein grosser Schwarzer, angetan wie ein Küher. Der zweite, der ihm die Milch abnimmt und sie übers Feuer bringt, ist klein und bleich mit schneeweissem Gesicht, fahlen Haaren und blauen Augen. Der dritte jedoch hat ein grünes Kamisol an und um seine Lenden eine Jägertasche umgegürtet. Der sitzt auf dem Dreibein, schaut ins Feuer und legt dann und wann einen Klotz Holz unter den Kessel.

Wie nun der Augenblick da ist, dass die Milch gerinnen soll, zieht der Grünrock eine Flasche hervor, aus welcher er blutroten Käslab in den Kessel schüttet. Der Schwarzriese aber fängt an sie mit dem Brecher umzurühren. Da zieht der Bleiche ein gewundenes Horn hervor, schreitet damit auf die Türe zu die sich vor ihm von selber öffnet, und geht hinaus. Draussen ertönt jetzt auf einmal das Horn mit lieblichen Weisen, dass dem Horcher das Herz im Leibe lacht, und die Herde herbeiläuft, den Klängen zuzuhören.

Inzwischen hat der grosse Schwarze den Käs herausgeschöpft und zum Formen in den Reif getan. Die Sirte schöpft er in drei Geschirre ab. Da verfärbt sie sich in dem einen blutrot, in dem anderen grasgrün und in dem dritten schneeweiss. In diesem Augenblick gewahrt der Schwarze den lauschenden Menk und befiehlt ihm, von der Gasteren herabzusteigen. Dem Sennen graut, derweilen aber just der Bleiche zur Tür hereinkommt und ihm einen freundlichen Blick zuwirft, fasst er ein Herz und steigt nieder.

"Aus einem von diesen Geschirren musst du trinken!" herrscht ihn der Schwarze an. Willst von der Roten, so wirst du stark dein Lebtag lang, gewinnst alles mit Gewalt und niemand kann etwas gegen dich ausrichten. Darüber hinein gebe ich dir noch hundert rote Kühe."

Da beginnt der zweite, der Schnauzbärtige im Grünrock. "Was willst du mit hundert Kühen, bist du nicht schon häbig genug? Trink von der Grasgrünen, dann geb ich dir noch mehr, Gold und Silber in Fülle und Überfluss, dass du der Reichste sollst sein." Mit diesen Worten schüttet er vor dem Sennen einen Sack voll Gold und Edelsteine aus.

Menk aber schaut sich nach dem dritten, dem Bleichen um. Der steht bei der Feuergrube und sieht hinein, als ob er träume. Wie er des Sennen Blick fühlt, da erröten seine Wangen wie Droselblumen. Und er spricht: "Weder Kraft noch Glanz noch Reichtum kann ich dir geben. Was ich dir gebe, ist mein Horn und die Gabe des Gesanges und der Musik, die darin schlummert. Nur zu wecken brauchst du es, und dabei wird dein Herz beständig sein, du wirst stets haben was du bedarfst, aber nicht mehr. Wo du dich mit dieser Gabe hören lassen wirst, sollst du männiglich erfreuen." Da greift Menk zu. Von der weissen Sirte trinke ich und das Horn ist mein. Und wie er aus tiefem Schlafe erwacht und sein Horn ergreift, da ertönen aus demselbigen Melodien wie noch nie, dass es von Berg und Tal hallt und die Leute auf allen Sennten zusammenlaufen, den Kuhreihen zu hören, in sich aufzunehmen und den Gesang des Friedens mit in ihre Hütten zu nehmen und in ihren Herzen zu verwahren.

Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910. 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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