Heidenzwerge zu Klein-Döttingen

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Im Dorfe Klein-Döttingen, am linken Aarufer, steht ein altes, schon oft ausgebessertes Haus, nun von der Familie Kalt bewohnt, welches den Namen Heidenhaus hat. Sein Name soll von jenen Zwergen herkommen, welche man schlechtweg Heidenzwerge hiess, und die ehemals hier tagtäglich ihre Besuche abstatteten. Die grössten unter ihnen waren bis zwei einen halben Fuss hoch. Sie trugen schwarzgraue Ueberhemden, die ihnen von der Schulter bis auf den Boden reichten, um den Leib einen schwarzen Gurt, statt der Schuhe hölzerne Brettchen, und giengen stets barhaupt.

Ihr Besuch galt einem menschenfreundlichen und vergnügten Hausvater, der mit all den Seinigen in fortgesetzter Eintracht lebte. Frühmorgens stellten sie sich bei ihm ein, giengen mit ihm aufs Feld und machten die Arbeit mit; beim Essen allein blieben sie weg, und nahmen nichts, was man ihnen auch vorsetzen mochte. Am Morgen waren sie immer besonders munter und aufgelegt, Abends aber wurden sie zusehends stiller, und wenn dann im Nachbardorfe Leuggern die Betglocke ertönte, so liefen sie eiligst und mit Wehklagen davon. Alle rannten dann einer bestimmten Stelle am Aarufer zu und stürzten sich ins Wasser; ebendorten stiegen sie aber am folgenden Morgen wieder hervor, und begaben sich zu ihrem lieben Bauern. Kam nun der Winter und gab es keine Feldarbeit mehr, so unterhielten sie die Familie mit allerlei Kunststücken. So brannten sie in der Scheune, wo sie ohnedies am liebsten waren, je nachdem man es haben wollte, vier- oder sechseckige, sogar zirkelrunde Löcher mitten durch ein Bund Stroh, ohne dass ein anderer Halm daneben Feuer fieng. Denn sie verstanden es, das Feuer zu bannen. Dieser Künste wegen hiess man sie auch Heidenzwerge; ob sie aber wirklich Heiden gewesen sind, weiss man bis heutigen Tag nicht.

So lange sie nun den Bauern besuchten, nahm sein Wohlstand zu, und der ungenügsame Nachbar beneidete ihn oft darum und wünschte die Zwerge gleichfalls an sich zu ziehen. Allein das half nichts, sie blieben dem Alten getreu, und dieser lebte zufrieden und glücklich mit der ganzen Haushaltung bis zu seinem Tod. Als er aber gestorben war und seine beiden Söhne das Gut erbten, gelang es dem neidischen Nachbar bald, diese in Zwist zu bringen. Um so leider that's den gutmüthigen Zwergen, Zank und Streit in der sonst so friedlichen Familie hören zu müssen, sie erschienen bald nicht mehr täglich, dann nahm ihre Zahl ab, endlich kam nur noch einer. Aber auch dieser gieng zuletzt von dm beiden Brüdern unter folgenden Worten hinweg: 'Unsere Zeit ist nun vorbei, wir werden euch daher nie wieder, vielleicht ewig nicht mehr sehen, aber eurer Wohlthaten wollen wir ewig gedenken, lebet nur einträchtig und in Frieden.' Nach diesem Abschiede eilte der Zwerg wie sonst der Aare zu. Als ihm dabei der neidische Nachbar nachschlich, um die Uferstelle zu sehen, wo das Männlein verschwinde, stürzte er darüber selbst in den Fluss und versank; nichts mehr sah man von ihm als sein Blut, das einen Augenblick das Wasser färbte.

So waren nun schon viele Jahre vergangen, und man hatte des Heidenvölkleins beinahe ganz vergessen; da brach zwischen den Fürsten ein grosser Krieg aus, und ihre Heere drangen auch in die Schweiz ein. Sie schlugen sich an Limmat und Aare und rückten auch in diese Gegend. Damals versuchten es die Kaiserlichen von Döttingen aus auf das linke Ufer der Aare überzusetzen, die Franzosen aber verwehrten ihnen den Uebergang und liessen sie durch Scharfschützen, welche hinter den Häusern und Bäumen von Klein-Döttingen sicher aufgestellt waren, so erfolgreich beschiessen, dass jene mit dem Schlagen der Schiffbrücke nicht zu Stande kamen. Darüber nahmen die Kaiserlichen ihr Geschütz vor und schossen mit glühenden Kugeln das ganze Dorf in Brand. Da stand nun das Heidenhäuslein, welches die Zwerge ehemals besucht hatten, entblöst am Ufer der Aare. Ringsum loderten die Firsten, in Zeit von zwei Stunden war das ganze Dörflein in Asche gesunken; das Heidenhaus allein war noch unversehrt. Die Scharfschützen hielten deswegen hier bis zuletzt aus. Wie die Kaiserlichen das sahen, richteten sie alles ihr Geschütz gegen dieses eine Haus, aber vergebens; sie durchlöcherten es bloss, seine Holzwände brachen nicht zusammen und das Strohdach entzündete sich nicht; ganz allein von allem blieb es übrig. Da wollen nun einige Leute des Dorfes gesehen haben, wie während dieser fürchterlichen Kanonade ein Zwerg aus dem Wasser gestiegen und jenem Hause zugegangen sei. Dankbar gedachten bei dieser Nachricht die beiden Brüder des guten Heidenvölkleins wieder, und ihm schrieben sie jetzt die Rettung ihres Heimwesens zu. Sie bereuten ihren Zank, söhnten sich aus, und da das ganze Dorf neue Häuser zu bauen hatte, machten auch sie zusammen sich daran, ihr altes väterliches zu renovieren. Als man nun das Dach frisch umdeckte, fand man unter einem Hohlziegel der First ein wohlerhaltenes Nuster (Paternoster) neben steckengebliebenen Flintenkugeln.

Diejenigen Erzähler aber, welche nicht an Zwerge glauben, berichten über die Erhaltung des Hauses Folgendes. Hier war Tags zuvor ein alter Offizier der französischen Armee in Quartier gewesen und freundlich behandelt worden. Als er einige Stunden vor Beginn des Kampfes das Haus verliess, sagte er den Leuten für ihre Gastfreundschaft ausdrücklich Schonung und Erhaltung ihres Eigenthums zu. Auch wenn er selber fallen sollte, bemerkte er ihnen, so habe er für sie gesorgt, und zwar schon vorige Nacht beim Schlafengehen. Die Schlacht war vorüber und der Franzose zeigte sich nicht wieder. Man wurde begierig, ob man nicht an seiner Schlafstelle etwa eine Spur fände, aus der man sich sein so wunderbar erfülltes Versprechen erklären könnte. Man bemerkte am dortigen Bettpfosten nichts anderes als ein frisches Bohrloch, um das ein paar Anfangsbuchstaben eingeschnitten waren.

Dieser Franzose muss also zu den Veteranen der Armee gehört haben, die sich alle auf die Heiden- oder Zigeunerkunst verstanden haben. Mit glühenden Stangen brannten sie runde Löcher durch die Strohgarben und sengten alle Spinnenweben in allen Winkeln des Hauses zumal weg, ohne dass sonst etwas im Hause darüber angieng oder nur russig wurde. Von solchen Wunderthaten erzählt man noch allenthalben.

Das Kriegsereigniss, das im Vorstehenden gemeint ist, betrifft den Aarübergang, welchen Erzherzog Karl von Oesterreich in der Nacht des 16. August 1799 bei Döttingen mit 50,000 Mann erzwingen wollte. Die französische Armee bestritt ihn und 50 Zürcher-Scharfschützen besonders verhinderten dabei das Schlagen einer Schiffbrücke.

Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 313

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

Diese Website nutzt Cookies und andere Technologien, um unser Angebot für Sie laufend zu verbessern und unsere Inhalte auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie können jederzeit einstellen, welche Cookies Sie zulassen wollen. Durch das Schliessen dieser Anzeige werden Cookies aktiviert. Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Cookie Einstellungen

Diese Cookies benötigen wir zwingend, damit die Seite korrekt funktioniert.

Diese Cookies  erhöhen das Nutzererlebnis. Beispielsweise indem getätige Spracheinstellungen gespeichert werden. Wenn Sie diese Cookies nicht zulassen, funktionieren einige dieser Dienste möglicherweise nicht einwandfrei.

Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Das können unter Anderem folgende Cookies sein:
_ga (Google Analytics)
_ga_JW67SKFLRG (Google Analytics)
NID (Google Maps)