Der Hutätä

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

 

Es gibt wohl keine Ortschaft im Senseland, wo der Hutätä nicht umging, - hier zu Fuss, dort zu Pferd, hier ganz allein als alter Graubart, dort als dunkler Jäger mit einer Schar schwarzer Hündlein. Nicht selten fuhr er unsichtbar durch die Lüfte. Dann vernahm man nur so ein „Gerädel“, als ob tausend Männer und Frauen durcheinander redeten. Ja, manchmal tat er sich in einer sonderbaren Nachtmusik kund. Da hörte man einen mächtigen Schall von Geigen, Hörnern, Pfeifen, Schellen und Trommeln am Himmel dahinziehen. Es ist noch kein Menschenalter her, da schreckte man Kinder, die nach Einbruch der Nacht sich noch draussen aufhielten, mit der Rede: „Gang hiim, süsch chunt der Hutätä u nümmt di.“ Aber es gab auch eine Zeit, wo selbst die Grossen sich vor ihm fürchteten, besonders wenn er um die Wintersonnenwende mit seinen Heerscharen im Sturme über die Erde ritt.

Horch, da braust sie heran, die wilde Jagd. Aus dem Heulen des Windes lösen sich hundert und hundert Stimmen und Laute. Sie wirbeln und flattern durcheinander wie dürre Blätter im Herbststurm. Es klingt wie Eulenschrei, Hundegebell, Pferdegetrappel, Gewieher, Gebrüll. Jetzt mischen sich Menschenstimmen darein. Huuh - das heult und schreit und wimmert und stöhnt und flucht und lacht wie Schlachtenlärm. Was sind das für Stimmen? Sind es Wut- und Racheschreie von Menschen, die am Leben zerbrachen, - von Verführten, Betrogenen, Enterbten, Vertriebenen? Ist es das Hohngelächter der Tyrannen, das Geschrei der hungernden Kinder, das Jammern und Stöhnen der Geknechteten und Misshandelten? - Es sind die Stimmen ruheloser Geister, Geister, die aus den Gräbern steigen, mit dem wilden Jäger im Sturm über die Erde fahren und ihre Not und Qual in den Wind schreien.

Glücklich, wer jetzt sicher und geborgen in der warmen Stube sitzt. Er rühre sich nicht, selbst wenn der Hutätä an den Fensterladen rüttelt, das Tenntor aufreisst oder sein schauriges Huuh-huuh zum Kamin hinunterbrüllt. Wer aber das Fenster öffnet und neugierig hinausblickt, der bekommt sicher einen heftigen Backenstreich, dass ihm davon der Kopf unförmig aufschwillt, das Fieber ihn brennt und schüttelt, oder ein hässlicher Ausschlag seinen Leib entstellt.

Wehe dem Wanderer, der auf nächtlichen Pfaden der wilden Jagd begegnet. Er muss sich an den Wegrand stellen, den Vorüberstürmenden den Rücken kehren und sich hüten umzuschauen, sonst geht es ihm übel. Wird er auf freiem Felde vom Nachtjäger überrascht, so tut er am besten, sich vornüber auf die Erde zu werfen, den Kopf in den Boden zu drücken die Arme darüber zu kreuzen und so auszuharren, bis der Spuk vorüber ist. Wird jemand vom Hutätä gefragt, welche Stunde es sei, dann soll er unerschrocken ihm antworten:

Sigenes spat am Abe 

Oder am Morge bizite,

I lobe Gott zu alle Zite.

Fragt er, wohin der Weg führe, so muss die Antwort lauten:

A jeda Wäg,

Ob schmal - ob briit,

Är füert i d’ Ewigkiit.

So gab es auch Sprüchlein auf die Fragen: Wer bist du? - Woher kommst du? - Wohin gehst du? Wer um die richtige Antwort verlegen war, kam selten ohne die gefürchteten Backenstreiche oder den schrecklichen Ausschlag davon.

In der Nähe des Dorfes Düdingen begegnete einst ein verspäteter Kilter der wilden Jagd. Statt ihr auszuweichen, blieb er trotzig mitten auf dem Wege stehen. Plötzlich stand hoch zu Pferd der Nachtjäger vor ihm. Er schwang drohend ein Beil und fragte: „Junge! für was ist die Nacht.“ Der Bursche antwortete frech: „Für was mu si eppa grad brucht.“ Da hob der Hutätä das Beil empor, schlug es ihm wuchtig in die Schulter und ritt hohnlachend von dannen. Ein ganzes Jahr lang trug der junge Mann das Beil samt Stiel mit sich herum. Es war wie mit dem Leibe verwachsen, und niemand konnte es herausziehen. Schmerzen verursachte es ihm zwar nicht, aber das Ding war heillos unkommod, und wer ihn also sah, der musste laut herauslachen. Endlich konnte ihm ein alter Mann den Rat geben, er solle sich, wenn die wilde Jagd um den Weg sei, wieder an jenen Ort begeben, aber diesmal sich schön bescheiden am Wegrand aufstellen und der Strasse den Rücken kehren. Er tat so. Die nächtliche Jagd stürmte heran. Plötzlich hörte er hinter sich das bekannte Hohngelächter des Nachtjägers, und gleichzeitig fühlte er, wie das Beil mit einem Ruck ihm aus der Schulter gezogen wurde.

*

Einst stürmte die wilde Jagd gegen die Horia hinauf. In der Gegend von Jetschwil befand sich ein mutwilliger Junge noch auf der Strasse. Als der Spuk an ihm vorbeiraste, schrie er ins Getöse: „Hutätä - wa wüt du hii?“ Da brüllte ihm jemand mit fürchterlicher Stimme ins Ohr: „Ga Lustorf zue!“ Gleichzeitig empfing er ein „Fläri“, dass ihm die Wangen wie Feuer brannten und der Kopf wie ein Mäss aufschwoll.

*

Landauf, landab erzählte man folgende Geschichte:

Auf einem einsamen Bauernhofe war an einem stürmischen Winterabend die ganze Familie um den Tisch versammelt. Da zog auf einmal die wilde Jagd vorbei. Man hörte das Bellen der Hündlein und die Lockrufe des Jägers. Jetzt öffnete der Bauer ein Fenster und rief spottend hinaus: „Huu-tä-tä, huu-tä-tä!“ Da sauste ein Pferdefuss hart an seinem Kopfe vorbei und fiel polternd auf den Zimmerboden. Draussen aber ertönte die Stimme des Jägers:

„Hesch mer hälfe jage –

Chasch mer hälfe gnage!“

Der stinkende Pferdefuss war nicht mehr von der Stelle zu bringen und blieb jahrelang in der Stube.

*

Ein Bursche kehrte spät in der Nacht von einem Kiltgang heim. Als er durch den Farnerawald schritt, hörte er die wilde Jagd heranbrausen. Er versteckte sich schnell in einem Gebüsche. Jetzt sprengte der Nachtjäger an ihm vorbei. Er ritt einen schwarzen Hengst. Ihm folgte eine endlose Schar heulender und rasender Hunde. Als der ganze Zug schon eine Weile vorüber war, hinkte kläffend noch ein kleines schwarzes Hündchen daher. Der Bursche erkühnte sich und eilte dem „Gäueri“ nach. Er fing ihn und trug ihn nach Hause. Dort schloss er ihn in eine „Trucke“ und legte noch einen schweren Stein auf den Deckel. Am andern Tage wollte er das Tierchen beim Sonnenlicht genauer ansehen. Was fand er aber in der Kiste? - Einen Haufen Rossbollen. Das ärgerte den Burschen. Er nahm die Kiste und schüttete deren Inhalt auf den Misthaufen. Aber kaum hatte er den Rücken gekehrt, da machte es „wauwau, wauwau“ hinter ihm. Ein kleines, schwarzes Hündlein sprang vom Miststock herunter und lief bellend dem Farneraholz zu. Die Rossbollen aber waren verschwunden.

*

Ein anderes Mal ging die Jagd der Ärgera entlang. Das war ein schauriges Heulen und Schreien und Schnauben in jener Nacht. Eine Frau öffnete das Fenster, lehnte sich hinaus und rief: „Schwüg doch, du alta Brüeli!“ In diesem Augenblick erhielt sie einen „Chlapf“, der beide Wangen traf und wie Feuer brannte. Die Wangen der Frau färbten sich dunkelrot und wurden schliesslich schwarz. Die Zähne fielen ihr aus dem Munde, und nach zwölf Tagen starb sie unter den schrecklichsten Schmerzen.

*

Ein Bauer hatte eines Abends das Tenntor offen gelassen. Mitten in der Nacht wurde er durch einen schrecklichen Lärm aus dem Schlafe gerissen. „Behüt uns Gott! das ist die wilde Jagd!“ rief er und wollte hinaus, um das Tor zu schliessen. Aber in diesem Augenblick erdröhnte schon der Tennboden vom Pferdegetrappel, und das ganze Haus erzitterte. Mit Pfeifen und Johlen, mit Gewieher und Peitschenknall sprengte das Heer des Nachtjägers durch die Tenne. Es war, als ob sich die Hölle geöffnet hätte. Doch schon nach wenigen Minuten war der Spuk vorüber und der Lärm verlor sich in der Ferne. - Als der Bauer am Morgen die Tenne betrat, war diese völlig ausgeräumt und kein Hälmchen mehr zu finden. Aber hinter dem Hause sah es schlimm aus. Heu und Stroh, Reiswellen und Holzscheiter, Werkzeuge und Geräte lagen weithin über Matten und Äcker verstreut, und Sensen und Dreschflegel hingen drohend an den Wipfeln der Bäume. So wüst hatte der Nachtjäger gehaust. 

*

Und wieder einmal brauste die Jagd durch den Wildwald. Ein Holzschelm war dort gerade an der Arbeit. Plötzlich stand der Nachtjäger drohend vor ihm. Er war in zottige Pelze gehüllt, hatte langes, kuttertes Haar und einen mächtigen Bart, der aussah wie graugrüner Tannenbart. Der Dieb erhob schnell die Axt gegen ihn. Da geschah etwas Merkwürdiges. Der wilde Jäger wuchs so hoch empor, dass sein Haupt beinahe die Wolken berührte. Dann rauschte es, und mit drei Schritten stand der Riese auf der andern Seite des Ärgerentales - oben im Tscherlawald.

 

Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch

 

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