Das Gemeingeld

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Ehemals waren die Gemeinden im Oberwallis viel reicher und besser daran als in heutigen Tagen; es war überall üblich, das Gemeingeld an sichern Orten, gewöhnlich in Kirchen oder Kapellen, aufzubewahren in Schränken, Trögen oder festen Behältern, die nur mit drei, oder mehreren Schlüsseln konnten geöffnet werden. — Unsere lieben Altvordern übten mit solchen Schlüsseln, in Händen ebenso vieler Beteiligten, über den Gemeinschatz eine zuverlässigere Kontrolle, als in heutigen Tagen mit gescheiten Zahlen auf totem Papier, wo es der vornehmen Schelme so viele gibt, die hinter Schloss und Riegel gehörten, wenn alle Menschenkinder laut Gerechtigkeit behandelt würden. — Jetzt stehen diese alten Geldschränke schon lange leer und nicht nur Dieben, auch den Mäusen offen.

Diese Verarmung des Gemeinwesens kommt unstreitig einerseits von viel grösseren Ansprüchen, die der Staat an die Gemeinden macht, und anderseits von merklicher Abnahme des Gemeinsinnes unter den Bürgern. Früher liebte jedermann das Gemeinwesen sehr und brachte für dasselbe willig die schwersten Opfer; heute kehrt man den Stiel um, die Bürger wollen nichts mehr tun und von der Gemeinde alles verlangen; diese sollte ihnen nicht nur die Vögel schiessen, noch über das braten und selbst zu Mund tragen. — Ich mag mich aber dessen kaum wundern; ehemals entzog die Gesetzgebung das Bürgergut nicht den Bürgern, um selbes jedem Hergelaufenen mit in den Sack zu schieben.

Die Gemeinde Törbel bewahrte das Gemeingeld in der Kirchensakristei auf, wo für dasselbe ein fester Schrank in der Mauer gebaut war. Das wusste leider ein frecher Dieb; öffnete darum die Mauer hinter dem Altare, wo jetzt das Hl. Grab angebracht ist, und gelangte so von hinten in den Geldschrank. Weil keine gewaltsame Erbrechung zu Tage trat, hatte der Schelm Zeit genug, mit dem Gelde zu verduften.

So sammelte auch die Gemeinde Zeneggen, weil sie mit dem Plane umging, eine Kirche zu bauen und eine Pfarrei zu stiften, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts hübsche Summen Geldes und verschloss selbe sorgfältig in einem verborgenen Behälter unter dem Chor der Kapelle. Es hielt sich damals seit vielen Jahren ein fremder Weber in Zeneggen auf, — man nannte ihn "Dechili-Josi", weil er schöne Bettdecken wub. Mit Hülfe dessen spürte ein Dieb das Geld auf und stahl es samt einem schönen Silberbecher fort. Dieser Becher verriet den Räuber, der im Turtig noch erwischt wurde. Das Geld war aber fort und nur der Becher kam nach Zeneggen zurück, wo derselbe in neuester Zeit auch noch verschachert wurde.

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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