Vor langer Zeit herrschte einmal ein Löwe über einen grossen Wald in welchem viele Tiere lebten. Einmal musste der Löwe eine Reise machen und er befahl dem Affen seine Höhle gut zu bewachen.
Nicht lange darauf kam eine Luchsfamilie, sah die verlassene Höhle und wollte sich dort niederlassen.
Sogleich kam der Affe herangesprungen und rief: „He, Luchs! Verschwinde! Diese Höhle gehört unserem König dem Löwen.“
Der Luchsvater antwortete: „Sei still Affe! Ab jetzt wohne ich hier und ich lasse niemanden herein. Ich bin kein gewöhnlicher Luchs, denn man nennt mich den Löwenverschlinger!“
Als der Affe dies hörte, bekam er es mit der Angst zu tun und verzog sich schnell wieder in die Baumkronen des Waldes.
Kaum war er fort, sagte die Luchsmutter: „Lass uns fortgehen, wenn der Löwe zurückkehrt, wird er uns fressen!“
„Hab‘ keine Angst“, sagte der Luchsvater, „lass uns die schöne Höhle geniessen, und wenn der Löwe kommt, werde ich ihn mit meiner Schlauheit überwinden.“
Bald darauf hörten sie Lärm vor der Höhle. Der Löwe war zurückgekehrt und die Tiere des Waldes begrüssten ihren Herrscher. Der Affe kletterte aus den Bäumen herunter und erzählte dem König der Tiere, dass der Luchs in die Höhle eingedrungen war.
„Ein Luchs, den man Löwenverschlinger nennt, sagst du?“, fragte der Löwe. „Dann kann es kein Luchs sein, der wäre niemals so mutig. Es ist vielleicht doch ein gefährlicheres Tier.“
Drinnen in der Höhle jammerte die Luchsmutter: „Hör nur, wie laut der Löwe ist! Ach, wären wir doch geflohen. Er wird kommen und unsere Jungen fressen.“
„Hör mir gut zu“, sagte der Luchsvater und verriet der Luchsfrau seinen Plan.
Kurz darauf begann die Luchsmutter die jungen Luchse in den Bauch zu piksen, so dass diese aufschrieen. Dann sagte sie laut: „Hört auf zu weinen, bald gibt es gutes Löwenfleisch.“
Der Luchsvater rief ebenso laut: „Ist denn nichts mehr übrig von dem Löwen, den wir gestern erlegt haben?“
„Nein“, sagte die Luchsmutter, „den haben die Kinder schon gefressen und sie haben immer noch Hunger auf Löwenfleisch.“
Der Luchsvater rief nun noch lauter: „Sicher kommt bald der Löwe aus diesem Wald nach Hause, dann können wir ihn fressen.“
Als der Löwe dies alles hörte, wollte er vor Angst davonspringen, doch der Affe hielt ihn auf und sagte: „Ich habe genau gesehen, dass es ein Luchs ist. Majestät ihr müsst ihn vertreiben!“
Also schlich der Löwe gemeinsam mit dem Affen näher zur Höhle heran. Der Luchs hörte die beiden kommen, zeigte sich am Eingang der Höhle und rief: „Ah, Freund Affe, da kommst du ja endlich und bringst das versprochene Löwenfleisch!“
Der Löwe erschrak, schaute den Affen an und brüllte: „Du wollltest mich mit einer List in die Höhle des Löwenverschlingers bringen? Warte nur, dir will ich‘s zeigen!“, und er jagte den Affen durch den Wald und beide hat man nie wiedergesehen.
Die Luchsfamilie aber lebte in der schönen Höhle noch lange und glücklich.
Fassung Djamila Jaenike, nach: S. Schaarschmidt, Tuti Nameh. Die Geschichten des Papageien, Zürich 1997, unter dem Titel „Vom Luchs und vom Löwen“