Früher, da war Pichall, der Flamingo, schneeweiss. Wie er zu seiner roten Farbe kam, erzählen die Mapuche so: Es war in der Sommerzeit, als Antü der Sonnenmann so lange und so heiss schien, dass alles auf der Erde vertrocknete. Die Felder verdorrten, die Bäche führten kein Wasser mehr, es gab keine Beeren, keine Früchte, selbst der Mais und die Bohnen wuchsen nicht mehr. Die Tiere und die Menschen hungerten. Unter ihnen war ein Zauberer, der sprach: «Wir müssen Antüs, den Sonnenmann, einfangen und abkühlen, sonst verbrennen wir alle.»
Am nächsten Morgen warteten die Menschen auf den Sonnenaufgang, um den heissen Sonnenball zu fangen. Doch dieser verbarg sich in der Morgendämmerung und wartete, bis die Mondmutter von ihrer nächtlichen Himmelsreise zurückkehrte. Als sie gerade die Erde berührte, zog der Sonnenmann die Mondmutter unter ein Fell und beide versteckten sich darunter, sodass die Menschen sie nicht mehr sehen konnten und es wurde dunkel auf der Erde.
Weil weder die Sonne noch der Mond schien, war es dunkel und kalt auf der Erde.
Die Tiere und die Menschen berieten sich: «Wir müssen das Versteck von Antü, dem Sonnenmann, finden», sagten sie. Doch wie sie auch suchten, sie fanden es nicht. Da machte sich Pichal, der Flamingo auf die Suche nach der Sonne und wirklich, er fand das Fell, unter dem sich die Sonne und der Mond versteckten und zog daran. Sogleich breitete sich die Morgenröte am Himmel aus und färbte das Gefieder des weissen Flamingos mit seinen rosaroten Strahlen. Wieder zog der Flamingo am Fell und da rutschte es ab, gab die Sonne und den Mond frei und die Sonne leuchtete so hell und so heiss, dass sich der Kopf und die Füsse und die Flügel des Flamingos rot färbten. Der Schnabel und die Federspitzen aber wurden kohlschwarz. Die Sonne wanderte nun am Himmel, sie war nun nicht mehr so heiss und alles wuchs wieder auf der Erde. Nachts stieg die Mondmutter ans Himmelszelt und wenn man genau hinschaut, so sieht man noch das Fell als Sternbild am Himmel stehen. Der Flamingo aber hat seine Farbe bis heute behalten.
Fassung Djamila Jaenike, nach: B. Kössler-Ilg, Indianermärchen aus den Kordilleren. Märchen der Araukaner, Düsseldorf, Köln 1956, © Mutabor Verlag