Die Schatzhüterin

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

1. Tief in die Rynächtfluh hinein zwischen Schattdorf und Erstfeld zieht sich eine enge Felsenhöhle, Schwarzbälmli oder Rvnächtloch genannt, und an ihr vorbei wälzt in trägem. Laufe ein Quellbach sein lauteres, klares Wasser.

Am Heilig Abend und an den Fronfastenmittwochen ist, wie die Alten erzählen, vor Zeiten ein schönes, anmutiges. Wybervölchli (oder eine Klosterfrau) aus der Höhle herausgekommen, am Bache niedergekniet und hat Windeln gewaschen. Öfters hörte man es drinnen klagen und weinen.

Als einmal Schattdorfer Kinder auf der Landstrasse, die nahe an der Höhle vorbeizieht, gegen Erstfeld wanderten, sahen sie eine ganze Schar glänzend weissgekleideter Mädchen aus der Höhle herauskommen und am Eingang derselben sich aufstellen. Die Schattdorfer fürchteten sich bei diesem Anblick und machten sich davon.

Fr. Wipfli-Herger, 78 J. alt, u.a.

Man erzählte, ein Vater habe seine Tochter, die nicht nach seinem Willen geheiratet, da hinein verbannt mit samt ihrem grossen Vermögen und ihrem Kind. Eines Abends passten ihr drei verwegene Burschen ab, und, als sie mit den gewaschenen Windeln in die Höhle zurückkehrte, folgten sie ihr kriechend bis tief in das Innere des Berges und gelangten in einen grossen, erleuchteten Saal. Dort thronte sie – äs prächtigs Wybervelchli! – auf einer Kiste, und ein Krötlein kauerte auf ihrer Schoss. Sie redete die Burschen an und offenbarte ihnen: »Ihr könnt mich erlösen, und die Kiste mit Geld, die ihr da sehet, ist euer, wenn einer von euch dem Krötlein auf meiner Schoss drei Küsse gibt.« Das dünkte sie nicht schwer, und der erste trat tapfer vor und küsste es zweimal. Aber da schwoll es plötzlich zu riesiger Grösse auf und glotzte ihn mit glühenden Augen an. Ganz entsetzt, prallte er zurück. Da fasste sich der zweite ein Herz, fuhr pfeilgeschwind auf das Tier los und gab ihm einen Kuss. Aber nur einen, denn es spie ihm Feuer ins Gesicht. Der dritte wagte es nicht mehr, und alle drei Burschen flohen. Hinter ihrem Rücken aber schrie und flennte das arme Wybervölchli zum Erbarmen.

Zäzilia Gisler-Walker; Frau Wipfli-Herger

Oder: Es klagte: »Jetzt bin ich noch schlimmer daran als vorher; von jetzt an kann ich mich nicht mehr zeigen.«

Goethe in seiner Schweizerreise (1. Okt. 1797) beschreibt die Gegend mit folgenden Worten: »Breite, klare Quelle. Kindergeschrei aus der Höhle. Steile Kalkfelsen links auf die Wiesen herab, wie vorher bis auf die Oberfläche des Sees.« – Möglich, dass damals die Sage ging, man höre bisweilen Kindergeschrei aus der Höhle.

2. In der Alp Franzen ob Flüelen ist eine Jungfrau aus ähnlichem Grunde verwünscht. Wenn ein Jüngling sie anredet und aufrichtig zu ihr sagt: »Ich begehre die Junfrau zur Ehe und das Geld dazu,« so kann er sie erlösen. Einer, der es mehr auf das Geld als auf die Jungfrau abgesehen hatte, sagte zu ihr, indem er sich verplapperte: »Ich begehre das Geld zur Ehe und die Jungfrau dazu.« In diesem Augenblick hörte er einen schweren Geldsack platschend herunterplumpsen, und die Jungfrau schrie: »Jetzt kann ich in Ewigkeit nie mehr erlöst werden.«

Fr. Mattli-Bissig, 80 J. alt, Bürglen

3. Im Rynächtloch litt eine arme Seele, und man hörte sie oft weinen und jammern. Ein Bursche nahm sich vor, sie zu erlösen, drang, nachdem er gebeichtet und kommuniziert, weit in die Höhle hinein und fand dort ein Wybervölchli, sitzend auf einer grossen Kiste. An jeder Wange klebte ihm eine grausige, erschreckliche Kröte. Es redete den Eindringling an und sagte, er könne es erlösen, wenn er ihm drei Küsse ins Angesicht gebe. Das sei keine Kunst, dachte der Bursche, und zwei Küsse gab er ihm; aber nun taten die Kröten so furchtbar, dass er erschreckt zurückwich. Das Wybervölchli bat und beschwor ihn, doch den dritten Kuss auch noch zu wagen, aber er fand den Mut dazu nicht. Da versank es heulend und jammernd mit samt der furchtbar polternden Geldkiste in die Tiefe und rief: »Jetzt bin ich immer und ewig verloren.«

Fr. Gisler-Arnold, 70 J. alt, Schattdorf

4. In einer Höhle am Rynächt liegt ein Schatz. Darauf sitzt eine Kröte. Wer ihr in der hl. Nacht des Christfestes drei Küsse verabreicht, kann den Schatz heben. Ein mutiger Bursche wollte es probieren. Nach dem ersten Kuss wurde die Kröte so gross wie ein Kalb, nach dem zweiten erreichte sie die Grösse einer Kuh, und es grauste dem Burschen so, dass er die Flucht ergriff.

Ernst Friedli von Lützelflüh, in Göschenen

5. Das Meitli im Rynächtloch kam einmal bis auf einen Tanzboden, tanzte mit einem Burschen und lud ihn ein, ihm zu folgen und es zu erlösen. Er ging also mit ihm, aber, o Jeerä! erlöst hat er's nicht. Sogar mit Kreuz und Fahne (d.h. prozessionsweise) ist man bis vor die Balm gezogen, aber es war umsonst. So hat man es in Ursern erzählt.

Maria Anna Schmid, 78 J. alt, Hospental

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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