Burg Rächberg. Dreibrunnen

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Ob Bronschhofen, auf der Anhöhe, die jetzt noch Burstel (Burgstall) heisst, stand einst eine Burg. Von den Mauern und Graben sind noch spärliche Überreste zu sehen. Hier wohnten die Edeln von Rächberg. Sie waren Bürger von Wil. Vor wenigen Jahren noch sah ich einen Grabstein derselben neben dem hintern Eingang der Kirche zu St. Peter eingemauert. Eine moderne Barbarei liess ihn verschwinden. Von der Burg selbst sah Georg Renner um 1680 noch einige Trümmer.
Am Fusse dieser Burg führte zur Zeit, als die Ritter sie noch bewohnten und häufig genug ihre geräuschvollen Tafelfreuden in das Tal rauschen liessen, eine Mathilde von Bronschhofen das stille Leben einer Klausnerin. Welch ein Gegensatz! Wie bezeichnend für jene Zeit! Wie häufig mögen die Klänge der Laute und der Becher, der Hörner und des Kampfes ihre Gebete gestört haben; wie häufig mag aber auch ihre Andacht wieder zum Totenlager und Sarge eines jener Ritter erfleht und geholt worden sein. Mathilde stiftete eine Jahrzeit in der Kirche zu Wil.

Dreibrunnen, wie es jetzt genannt wird, hiess ehemals Tiefenbrunnen (Tüwinbrunnen) oder abgekürzt "Tübrunnen", wie es auch gegenwärtig noch im Volksmunde tönt, im Gegensatz zur Schriftsprache. Es war ein Ketnhof der Grafen von Toggenburg, die auf diesem für die Bewohner ihrer vielen umliegenden Güter eine Kirche bauten, und die daher die Kirchherren von Dreibrunnen waren. Damals muss der Ort einen eigentlichen Weiler gebildet haben; jetzt ist es ein einziger Bauernhof mit nur einem Wohngebäude. — Welchem Wiler meines und noch höhern Alters ist der Name Dreibrunnen nicht ein süsser Klang aus seiner frommen Jugendzeit? Wer erinnert sich nicht gerne jener Stunden, die er dort zubrachte, sei es, dass ihn die Nachfeier des ersten Abendmahlgenusses oder der Bittgang in der Kreuzwoche oder die Hand der betenden und wallfahrtenden Mutter sonntags dorthinführte, dorthin zu dem Kirchlein auf dem sanften Hügel, sich spiegelnd in den Gewässern zweier Teiche, auf welchen wogendes Schilf seine Kolben neigte und die umsäumenden Tannen ihre Schatten niederlegten. Welche Geheimnisse deckten die Wellen dieser Weiher nicht sonst noch! Waren sie doch nicht bloss die Behälter der Fische, sondern das heilige Gefäss, in dem die Mutter Gottes die noch nicht zum Leben gekommenen Kinder bewachte und bewahrte und den eifrig flehenden Müttern hie und da verabfolgte. Mancher Knabe wollte bei hellem Wasserstande die klaren, blauen Äuglein eines künftigen Brüderchens oder Schwesterchens ganz deutlich aus dem Grunde heraufblinzeln gesehen haben! Jetzt sind sie verschwunden und mit ihnen auch jener herrliche Buchwald gegen Westen, der dem Alter die Ruhebänke, den Männern Kegelspiel und Stutzerlust, Trunk und Sang bot, der die spielende Jugend beiderlei Geschlechts als fröhlicher Tummelplatz aufnahm, und dessen majestätische Stämme, dessen helle und freundliche Schatten über die Gemüter jeder Altersstufe dichterische Weihe oder gemütliche Gefühle goss und von der Stimme glücklicher Menschen und dem Gesänge und Gezwitscher fröhlicher Vögel in gemeinsamem Liederkranze oft widerhallte. Die Teiche und ihre Mythe sind verschwunden; eine furchtbare Nüchternheit ist an ihre Stelle getreten, aus ihrem Grunde strecken keine Kinder ihre Ärmchen dem Lichte sehnsuchtvoll entgegen. Der „Turbengräber" enthebt diesem Boden mit seiner Schaufel die abgemessene Torfschicht; der Axt und der traurigen Rente einiger Gulden wurde der Buchen-Hain geopfert, und mit seiner ganzen Kahlheit klagt der Hügel die Leere dichterischer Gefühle damaliger Behörden an. Nur der Glaube an die Wundertätigkeit des dortigen Muttergottesbildes ist noch beim Landvolke geblieben und zieht wenigstens noch diese Scharen an schönen Sonntagen zu der sonst so gefeierten Stätte.
Nach C. G. I. Sailer.

Maria, die Mutter Gottes, ist an die Stelle der Göttermutter Holda oder Holle getreten, die nach dem Glauben unserer heidnischen Vorfahren in dem tiefen Brunnen die Seelen der ungeborenen Kinder bewacht und pflegt.                      

Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 489, S. 287

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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