Die schöne Mengietta

Land: Schweiz
Kategorie: Novelle

Ein Vater hatte eine sehr schöne Tochter. Alle nannten sie die schöne Mengietta. Eines Tages grub der Vater ein Wiesenbord um und fand dabei ein goldenes Glöcklein ohne Klöppel. Mengietta schaute das Glöcklein an und sagte: «Es ist wirklich schade, dass das Glöcklein keinen Klöppel hat.» Nach langem Hin und Her wurden sie sich einig, das Glöcklein dem König zu schenken. Der König freute sich sehr über das Geschenk, sagte aber auch: «Es ist sehr schade, dass das Glöcklein keinen Klöppel hat.» Der Vater erwiderte, seine Tochter habe das Gleiche gesagt. Da meinte der König, wenn er eine Tochter habe, welche dasselbe dazu bemerkt habe wie er, so solle er sie in sein Schloss kommen lassen. Aber sie dürfe weder zu Fuss noch zu Pferd, weder nackt noch bekleidet, weder am Tag noch in der Nacht kommen. Könne sie das, werde er sie heiraten, wenn nicht, so müsse sie sterben.

Der Vater meinte, seine Tochter könnte diese Bedingungen nicht erfüllen. Er hatte Angst und bereute es, zum König gegangen zu sein. Trotzdem erzählte er ihr, wie es ihm gegangen war. Die Tochter tröstete den Vater und sagte, was der König verlangt habe, sei überhaupt keine grosse Kunst.

Dann setzte sie sich auf einen Esel, vorne bekleidet und hinten nackt und ging in der Dämmerung zum König. Der heiratete sie, aber er stellte ihr die Bedingung, ihm nie zu widersprechen.

Eines Tages ging der König mit seinem Gefolge auf die Jagd und begegnete einem armen Mann, der hütete eine Kuh, die gerade gekalbt hatte. Daneben stand auch ein Mann mit einem Esel. Der Kuhhirt weinte, und der König fragte, weshalb er weine. Er antwortete: «Wie du siehst, hat meine Kuh gekalbt, und jetzt behauptet dieser Mann, dass sein Esel gekalbt habe und will mir das Kalb wegnehmen. - Jetzt sage du, König, wer Recht hat.» Der König gab dem Mann mit dem Esel Recht.

Mit der Zeit kam auch die Königin da vorbei und fragte den Hirten, weshalb er weine. Er erzählte, der König habe dem Mann Recht gegeben, welcher behaupte, sein Esel habe gekalbt. Da sagte die Königin zu ihm: «Mach, was ich dir sage! Nimm einige Fische, grabe ein Loch und lege sie hinein. Wenn der König vorbeigeht, so rühre die Fische durcheinander und sage dabei: ‹Schwimmt, meine Fischlein!› Fragt er dich, seit wann die Fische auf dem Trockenen schwämmen, antworte: ‹Seit die Esel kalben!›» Der Mann befolgte das, und als der König fragte, seit wann die Fische ohne Wasser schwämmen, antwortete er: «Seit die Esel kalben!»

Der König stand beschämt da, aber es kam ihm sogleich in den Sinn, dass seine Frau dem Mann diesen Rat gegeben hatte. Zu Hause sagte er zur Königin: «Du hast versprochen, mir niemals zu widersprechen, doch du hast dein Wort nicht gehalten. Deshalb musst du das Schloss verlassen, doch du kannst noch das, was du am liebsten hast, mitnehmen!»

Der Königin war das recht, doch sie bat den König, mit ihr ein Glas Wein zu trinken. Sie schüttete ein Schlafmittel in den Becher ihres Mannes, und als er fest schlief, steckte sie ihn in einen Sack und trug ihn heim zu ihrem Vater. Als der König aufwachte, wusste er nicht, wo er war. Die Königin erklärte ihm, er habe ihr erlaubt, aus dem Schloss zu nehmen, was sie am liebsten habe. - Am liebsten habe sie ihren Mann, und so sei er hier. Da sagte der König: «Gut, weil du mich am meisten liebst, komm mit mir ins Schloss zurück!» Von nun an haben sie glücklich zusammen gelebt, aber ich habe sie nachher nicht mehr gesehen.

 

Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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