Die Drachen und der Holzfäller

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal ein armer Holzfäller, der hatte einen Sohn und eine Tochter namens Göri und Celestina. Er brachte sich mit seinem knappen Lohn durch, wie es sich gehört, und er hatte zugleich noch das Geschick, seine beiden Kinder zu ernähren und zu schulen. Die Frau war bei Celestinas Geburt gestorben, und er heiratete nachher nicht mehr, da der Knabe und das Mädchen inzwischen 10 und 15 Jahre alt geworden waren und sich auch ohne Mutter zu helfen wussten. So verging eine gute Weile; da sprach eines schönen Tages Celestina zu ihrem Bruder: «Weisst du Göri, jetzt scheint es mir doch an der Zeit zu sein, dass wir ein wenig dem Vater helfen, der ist alt und plagt sich ständig ab, damit wir Kleider sowie zu essen und zu trinken haben. Gehen also auch wir verdienen, jeder seines Weges.» Göri war einverstanden, doch der Vater wollte zuerst nichts davon wissen, da er sich nicht gern von den Kindern trennte. Aber es half nichts; die liessen sich ihren Gedanken nicht aus dem Kopf schlagen. Nachdem sie sich reichliches und gutes Essen, Brote, usw., wie auch das nötige Geld verschafft hatten, machten sie sich auf den Weg. Ein Stück gingen sie noch zusammen, bis zu einer Stelle, wo der Weg sich teilte. Hier trennten sie sich nach schwerem Abschied, um ihr Glück zu suchen.

Schauen wir nun zuerst, wie es Celestina ging. Die nahm den rechten Weg, während Göri, der ältere der zwei Geschwister, den linken gewählt hatte. Celestina war noch ganz traurig, so allein zu sein, und sie kam nur ganz langsam vorwärts. Um in jene Stadt zu gelangen, in der sie vorhatte, eine Stelle zu suchen, musste sie durch einen dichten Wald. Als das arme Mädchen sah, dass es langsam immer dunkler wurde, bekam sie Angst und getraute sich kaum, weiterzugehen. Deshalb setzte sie sich auf einen Stein, um zu essen. Sie faltete also ihr Bündel auseinander, um wenigstens einen Bissen zu nehmen. Plötzlich sah sie ein kleines weisses Mäuslein mit roten Augen, das kam zu ihr her und sagte: «Schönes Mädchen, warum weinst du? Gib mir etwas von deinem Essen – ich habe Hunger – und erzähl mir, warum du so traurig bist.» Celestina reichte ihm sogleich Brot und Wurst hin und sagte: «O armes Tierchen, hier hast du`s. Komm nur her und iss mit, es ist wirklich nichts Rechtes, doch es ist genug da für beide!» Während sie zusammen assen, erzählte Celestina dem Mäuslein das, was uns bekannt ist. Dieses entgegnete darauf: «Ich sehe, dass du ein braves Mädchen bist, das mit den Tieren Erbarmen hat; du hast mich gut behandelt, deswegen will ich dir helfen. Wie du erzählt hast, suchst du eine Stelle als Dienerin oder Magd. Also, eine solche Stelle, und zwar eine gute, kann ich dir besorgen, wenn du nur jeden Tag ordentlich deine Pflicht tust!»

Celestina war überglücklich, wickelte ihr Essen ein und ging mit dem Mäuslein bis vor ein riesiges und schweres Tor, das eine Felsenhöhle verschloss. Nun begann das Mäuslein, auf einer kleinen Goldpfeife zu spielen, und plötzlich öffnete sich das Tor mit einem Knall. Sie traten ein, und danach schloss das Tor wieder auf die gleiche Weise. Sie stiegen eine breite, vergoldete Marmortreppe hinunter; Celestina zitterte noch ganz vor Furcht. Nun gingen sie und gingen und gingen durch wunderschöne Säle, bis sie in einen grossen Gang gelangten. Hier hielt das Mäuslein an und sprach zu seiner Gefährtin: «Jetzt sind wir da, hör jetzt, was ich dir sage und befolge meinen Rat. Du befindest dich hier bei einer Fee, die dich schuften lassen wird und auch nicht so gut zu dir ist. Aber fürchte dich nicht, tu nur ordentlich deine Pflicht, und wenn sie einmal allzu böse zu dir sein sollte, so ruf mich nur. Hier hast du einen kleinen Stab; damit klopfst du nur dreimal an den Tisch in deinem Zimmer, und ich werde kommen. Die Fee hat einen Haufen Diener, die Zwerge sind; die halten zu ihr, wenn jemand seine Pflicht nicht tut. Aber jene, die gut und anständig mit ihnen sind, haben gute Tage, auch wenn sie fast über ihre Kräfte arbeiten müssen. Die Fee wird von einem grossen Drachen bewacht, den musst du aber nicht fürchten. Der zeigt sich nie; aber all jene Mädchen, die bis jetzt hier gearbeitet haben, hat er eine nach der andern gefressen, weil sie es ihrer Meisterin nicht recht gemacht haben. Er würde auch dich fressen, wenn dir eines schönen Tages die Arbeit verleiden würde und du deine Pflicht nicht mehr tätest. Wenn du also mit den Zwergen umgehen kannst, wird es dir gut gehen. Nun komm, damit ich dich zur Fee führen kann, wie ich es jedes Mal tun muss, wenn ich mit einer neuen Magd hierher komme. Hier in deinem Bündel findest du statt des Essens deine Arbeitskleider!» Nachdem das Mäuslein ihr einen kleinen Silberstab gegeben und sie zur Fee geführt hatte, verschwand es.

Celestina musste sich nun, sobald sie zu Abend gegessen hatte, an die Arbeit machen. Sie ging folglich in eine schöne Schlafkammer, um sich umzukleiden. Wie das Mäuslein ihr gesagt hatte, fand sie in ihrem Bündel die nötigen Kleider, aber dazwischen auch noch andere, viel schönere, mit allem, was dazu gehört. Die versteckte sie in ihrem Kleiderschrank, bevor sie das Zimmer verliess, um arbeiten zu gehen.

Es war sehr schön in jener Felsenhöhle; das könnt ihr ruhig glauben, alles glänzte dort von Gold und Silber, und überall war es hell wie am helllichten Tag, obwohl es unterirdisch war. Celestina, die anfänglich wohl ein wenig Heimweh nach Vater und Mutter hatte, war immer freundlich zu den Dienern der Fee. Die Zwerge fanden so auch von Tag zu Tag mehr Gefallen an dem Mädchen und versuchten, zusammen mit dem Mäuslein, ihr ihre harte Arbeit zu erleichtern. Den Stab hatte sie noch kein einziges Mal gebraucht, obwohl die Riesenfee sehr böse zu ihr war.

Lassen wir dies nun beiseite und schauen wir, was aus Göri wurde. Der fand eine Stelle als Knecht in der nächsten Stadt. Aber er hielt es dort nicht lange aus, denn der Meister war ein böser Mann, und unser Göri auch ein wenig zu bequem und faul zum Arbeiten. So ging er eines schönen Tages fort, um eine andere Stelle zu suchen.

Er reiste mehrere Tage lang, bis er gegen Abend in einen dichten Wald kam, wo es schon dunkel war. Müde und halbtot vor Hunger kletterte er auf einen Baum, um dort oben zu schlafen. Als er genauer hinsah, merkte er, dass der Baum, der für jene Nacht seine Schlafkammer sein sollte, voll mit Nüssen behangen war. Beim Gedanken: «Wie seltsam, dass hier dieser Nussbaum allein zwischen lauter Fichten steht», sah er plötzlich von nah ein Licht durch die Bäume scheinen. Die Neugier war jetzt doch grösser als die Müdigkeit. Darum kletterte er wieder vom Baum, den er vor dem Weggehen zuerst mit einem Zeichen versah, um ihn im Fall einer Rückkehr wieder zu finden, und ging dem Licht nach. Hätte sich Göri beim Verfolgen des Lichtes nur einmal zum Nussbaum umgedreht, so hätte er sehen können, dass jener mit zwei Riesenaugen, glühenden Kohlen gleich, schaute, wohin er ging! Nun - er ging weiter und gelangte nach kurzer Zeit vor ein grosses, schönes Haus, das von einem prächtigen Garten umgeben war. Er klopfte dreimal ans Tor, das sich beim dritten Mal mit lautem Getöse öffnete, und er trat ein, ohne dass sich eine Menschenseele gezeigt hätte. So ging er weiter durch wunderschöne Zimmer bis in den Speiseseal. Hier fand er den Tisch schon für eine Person gedeckt. Da sich niemand zeigte, setzte er sich an den Tisch. Kaum hatte er Platz genommen, gab es wieder ein schreckliches Beben, und plötzlich hatte Göri ein ganz feines Abendessen vor sich stehen. Da langte er wacker zu, und während er mit vollem Munde ass, hörte er plötzlich an der Tür ein leichtes Kratzen. Göri öffnete und sah ein schönes schwarzweisses Hündchen, das kam in die Stube und sagte zu ihm: «Ah, guten Abend, Göri, dürfte ich nicht von deinem Abendessen haben?» Göri war froh, wenigstens ein Wesen aus Fleisch und Blut um sich zu haben und sagte: «Doch, komm nur her und nimm, was du magst, hier gibt’s genug für uns beide!» Das Hündchen sprang herbei, und nachdem beide genug gegessen hatten, blieben sie noch ein wenig am Tisch, von wo die Speisen verschwanden, wie sie gekommen waren. Nun sagte das Hündchen: «Ich sehe, dass du ein Bursche mit einem guten Herz bist, erzähl mir jetzt, was dich in diese verzauberte Gegend geführt hat, und wenn es in meinen Kräften steht, will ich dir weiterhelfen.» Göri berichtete also dem Hündchen, was wir wissen, und dass er mit seiner Schwester von zuhause weggegangen sei, um eine Stelle zu suchen. So hätten sie ihrem Vater helfen wollen. Das Hündchen antwortete: «Wenn es weiter nichts ist, so kannst du hier eine Stelle haben, auch jeden Tag dein gutes Essen wie das von heute Abend, wenn du deine Pflicht zur Zufriedenheit deiner Meister tust. Dieses Haus wird mit allem, was dazugehört, von einem gefährlichen Drachen und seinem Aufseher bewacht, einem furchtbaren Riesenpferd, das jeden Arbeiter nach seinem Verdienst behandelt. Jener Drache hat uns alle, die wir auch einmal glückliche Menschen waren, verzaubert. All die Burschen, welche hier vor dir gearbeitet hatten, konnten es dem Aufseher des Drachen, der wie gesagt, ein Tier ist wie alle im Haus, nichts recht machen. Jene Unglücklichen, die nicht zur Zufriedenheit des Drachen und seines Dieners arbeiteten, wurden einer nach dem andern bei Wasser und Brot in einen schauderhaften, dunklen Raum gesperrt, wo sie sich noch heutzutage befinden, wenn sie inzwischen nicht etwa vor Hunger, Durst und Kummer gestorben sind. So würde es auch dir ergehen, wenn du deine Pflicht nicht tust.»

Das Hündlein führte ihn jetzt im ganzen Haus herum, und Göri sah überall lauter Tiere, keine Menschen. «Deine Arbeit hier», sagte das Hündchen, «ist es, das ganze Vieh des Drachen in Ordnung zu halten. Überdies musst du täglich einen Haufen Holz spalten, da wir Rösterei, Metzgerei und Bäckerei im Haus haben, und das braucht natürlich Holz. Wenn du diese Arbeit jeden Tag ordentlich verrichtest, wird es dir gut gehen. Nur das muss ich dir noch sagen, wenn du ein Werkzeug zum Holzhacken brauchst, so gehe nicht zum Pferd, denn dieses gibt dir gar keines. Hier hast du jedoch eine kleine Trillerpfeife; damit rufst du mich, wenn du etwas brauchst. Ich werde dir das Gewünschte bringen; aber achte gut darauf, mich nicht unnötigerweise zu rufen, denn dann wäre es vorbei mit meinem Wohlwollen!» Nachdem es Göri ein schönes goldenes Pfeifchen gegeben und ihm ein schönes Schlafzimmer zugewiesen hatte, verschwand das Hündlein. Göri war müde und ging schlafen.

Am nächsten Tag war er schon früh auf und machte sich an seine Stallarbeit, nachdem er ein ganz feines Morgenessen bekommen hatte. Diesmal war damit ein schönes Kätzlein in Dienstmädchentracht gekommen, das liebevolle Blicke auf ihn warf. Göri hatte grosse Freude daran, in einem so schönen und so gut eingerichteten Stall mit einem Boden aus Mosaikplatten arbeiten zu können. So machte er sich mit Lust und Eifer an die schöne Arbeit und beendete sie lange vor Mittag. Das Pferd, das zuweilen einen Blick auf die Arbeiter warf, war zufrieden mit Göri; es fand ihn schon beizeiten beim Holzhacken, und da sagte es zu ihm: «So ist es in Ordnung. Wenn du so mit der Arbeit weitermachst, wird es dir gut gehen.» Wieder bekam Göri ein ganz feines Mittagessen, und er war daher vergnügt und zufrieden.

Unterdessen verging die Zeit, und der arme Vater von Göri und Celestina wusste noch nichts davon, wo sie sich befanden. Denn beide hatten bisher kein Lebenszeichen von sich gegeben. Der arme Alte machte sich Vorwürfe, dass er sie fortgelassen hatte und wollte vor Kummer halb verrückt werden. So entschloss er sich eines schönen Tages, sie zu suchen. Er nahm ein wenig zu essen mit und machte sich auf den Weg. Nachdem er mehrere Tage gegangen war, gelangte er gegen Abend zu einer Hütte mitten im Wald, wo eine Alte wohnte. Die konnte wahrsagen und Kräuter sammeln, um Arzneien zu machen. Unser Holzfäller, der weder zu essen noch zu trinken noch eine Bleibe über Nacht hatte, beschloss, hier zu rasten und bat die Hexe - denn eine solche war es - nur um eine Schale Milch und ein Stücklein Brot. Die brachte ihm das Gewünschte, wenn auch murrend.

Als sie aber sah, wie dankbar der arme Alte für sein einfaches Essen war, bekam sie Erbarmen mit ihm und wurde allmählich freundlicher. Der Holzfäller erzählte, weshalb er in diesen Wald gekommen war, und die Hexe sagte: «Ihr tut mir leid, und da ich sehe, dass Ihr alt seid und Hilfe nötig habt, will ich Euch sagen, wo Eure Kinder sind. Wenn Ihr ganz genau tut, was ich Euch sage und Euch vor nichts fürchtet, so werdet Ihr Eure Kinder finden. Ihr dürft nur mit keinem Menschen sprechen; ein einziges Wort aus Eurem Mund wäre Euer aller Verderben. Einzig zu Tieren dürft Ihr sprechen. Wartet einen Augenblick, ich will Euch alles geben, was nötig ist, um die Drachen zu vernichten, die Eure Kinder geraubt haben.» Die Hexe ging hinüber ins Stübchen, und nach kurzer Zeit kehrte sie mit einem Stab, einem Säcklein Salz, einer Nuss, einem goldenen Trillerpfeifchen, einem eiförmigen Fläschlein und einem Korb mit Schlangen zurück. Dann gab sie ihm Anweisungen, was er mit diesen Dingen zu tun habe.

Der Holzfäller dankte nun der Hexe, und am andern Tag brach er von neuem auf mit all dem, was sie ihm gegeben hatte, sowie mit gutem Essen für unterwegs. Die Hexe hatte ihm seinen Weg beschrieben, und der Holzfäller fand ihn auch recht bald. Unterdessen wurde das Verlangen, seine lieben Kinder zu sehen, immer grösser. So nahm er den Stab hervor und klopfte dreimal auf einen Stein. Auf den dritten Schlag gab es einen Knall, dass die Erde bebte, und der Alte sah ein schönes weisses Mäuslein mit roten Augen; das kam zu ihm her und sagte: «Ah, Ihr seid doch Celestinas Vater. Kommt nur mit mir; ich will Euch zeigen, wo Eure Tochter ist. Seid nur ein wenig freundlich zur Fee und ihren Dienern; im übrigen wisst Ihr, was Ihr zu tun habt!» Der Holzfäller nahm zuerst sein Essen und lud das Mäuslein dazu ein. Dann machten sie sich auf den Weg und gelangten bald zur Felsenhöhle. Nachdem sie drin waren, schloss sich das Tor wie beim ersten Mal. Das Mäuslein geleitete jetzt seinen Gefährten in eine Stube und bat ihn, ganz still hier zu bleiben, bis es Celestina benachrichtigt habe und mit ihr zurückkehre. Nun nahm der Alte, nachdem er die Tür verriegelt hatte, nochmals all die Dinge der Hexe hervor und überlegte, was er zu tun hatte. So verging eine gute Weile, bis er Stimmen hörte. Die Tür öffnete sich, und er sah eine wunderschöne Jungfrau, die er sogleich als seine Celestina erkannte. Die rannte sofort herbei und umarmte ihn. Der Alte erzählte ihr nun, wie es ihm gegangen war und dass er gekommen sei, sie vom Drachen und seiner Sippschaft zu befreien. Um die Fee aus dem Weg zu räumen, hatte ihm die Hexe ein Fläschlein in der Form eines gläsernen Eis gegeben. Dieses enthielt etwas Gelbes, das wie eine Salbe aussah. Nun sagte das Mäuslein zum Alten, die Fee wünsche ihn zu sehen. Der dachte: «Jetzt ist der richtige Augenblick da», nahm die Flasche und versteckte sie unter seinem Rock. Das Zimmer der Fee war fast noch schöner als die Herrin selbst. Wenig freundlich liess sie den Holzfäller Platz nehmen und begann, Celestina ein bisschen zu loben. Wenigstens sagte sie, von all den Aschenputteln, die sie bis jetzt gehabt habe, sei sie die beste gewesen; aber die Arbeit, die sie mache, genüge ihr noch lange nicht, sie wolle das Mädchen noch einmal so viel arbeiten lassen, und es sei ihr ganz gleich, wenn sie eines Tages vor Erschöpfung draufgehen sollte! Der Holzfäller wurde darauf grün und gelb vor Wut und schrie sie an: «Wohl, meine Liebe, wenn das so ist, wirst du sehen, was geschieht!» Mit diesen Worten nahm er die Flasche aus der Tasche und warf sie vor den Füssen der Fee zu Boden. Augenblicklich bildete sich ein tiefer See im Zimmer, darin verschwand die Riesenfee auf immer und ewig. Celestina war nun froh, dieses böse Weib los zu sein und dankte dem Vater für ihre Befreiung.

Während Celestina sich umkleidete, sagte der Alte zu sich selbst: «Jetzt gilt es noch, den Drachen zu töten, damit auch die andern armen Teufel in diesem Haus wieder Freude am Leben haben können!» Dann nahm er das Säcklein Salz, ging hinaus zum Brunnen, wo Celestina Tag für Tag Tücher hatte waschen müssen, und warf das Säcklein ins Wasser. In dem Augenblick gab es einen so fürchterlichen Knall, dass der Alte umfiel und erst nach einer guten Weile zu sich kam. Das erste, was er sah, war eine wunderschöne Jungfrau - das weisse Mäuslein - die Arm in Arm mit Celestina auf ihn zukam, um ihm für ihre Erlösung zu danken.

Als sie nun zum Haus zurückkehrten, sahen sie, dass die Felsenhöhle verschwunden war. Jetzt stand ein schönes Schloss da, wo alles von Gold und Silber glänzte, und viele Leute liefen ihnen entgegen. Das waren jene, welche die Zwerge und Diener des Drachen gewesen waren und die sich nun anboten, in den Dienst ihres Erlösers zu treten.

Nachdem sie im ganzen Schloss umher gegangen waren und gut gegessen und getrunken hatten, machten sie sich wieder auf den Weg, um Göri zu suchen. Der Holzfäller, Celestina und ihre Freundin reisten tagelang, bis sie eines Abends in den verzauberten Wald gelangten, worin Göri war. Recht bald fanden sie auch den Nussbaum, und der Alte kletterte hinauf, wie es ihm die Hexe gesagt hatte. Sie suchten jenes Licht, das Göri gesehen hatte. Da folgten sie dem Licht, der Alte pfiff das schwarzweisse Hündlein mit der Trillerpfeife herbei, und wie es die Hexe ihnen angegeben hatte, kamen sie nach kurzer Zeit zu dem Haus, wo Göri war. Der Holzfäller klopfte dreimal ans Tor, das sich wie das erste Mal bei Göri mit einem Knall öffnete. Da sich bei ihrem Eintritt ins Haus niemand zeigte, gingen sie weiter durch wunderschöne Zimmer und Gänge, bis sie ins Esszimmer kamen, wo für drei Personen gedeckt war. Kaum waren sie abgesessen, gab es einen Knall, und in dem Augenblick stand ein ganz feines Abendessen vor ihnen, bei dem sie wacker zulangten. Während sie assen, begann es an der Tür zu kratzen, und als sie öffneten, kam wieder das Hündlein herein, dem sie auf seinen Wunsch von ihrem Essen gaben. Nachdem es satt war, sagte es zu unsern Reisenden: «Wie ihr mir erzählt habt, seid ihr gekommen, um Göri aus den Händen seiner Meister zu befreien. Dieser arme Kerl befindet sich schon recht lange hier und muss mehr als genug schuften. Zuerst arbeitete er mit Lust und Eifer, da es ihm hier gefiel, aber unterdessen kam ihm sein Werkzeug abhanden, ohne dass er verstehen konnte, wie das geschah, und das ärgert ihn. Überdies denkt er viel an Vater und Schwester und ist unzufrieden und unglücklich.» Unsere drei Reisenden antworteten: «So ist es nun an der Zeit, dass das ein Ende nimmt!» Das Hündlein verschwand, um bald darauf in Begleitung Göris wieder zurückzukommen. Der hatte bei der Nachricht von der Ankunft von Vater und Schwester seine Arbeit hingeschmissen und einen Freudensprung gemacht. In der Stube umarmte er beide und verneigte sich respektvoll vor der Gefährtin der Schwester. Die Schönheit wie auch Freundlichkeit Inglinas hatten sein Herz vom ersten Augenblick an gefangen genommen, so dass er grosse und tiefe Liebe für sie empfand. Aber auch Inglina blieb nicht gleichgültig gegenüber dem schönen und guten Burschen.

Müde von der Reise, legten sie sich bald in prächtigen Zimmern schlafen. Göri war jedoch froh und glücklich wie nie. Am nächsten Tag gingen sie schon früh daran, sowohl dem Drachen wie seinem Wächter, dem Pferd, den Garaus zu machen. Zuerst nahmen sie sich das Pferd vor. Der Holzfäller nahm den Korb mit Schlangen und stellte ihn auf jene Wiese, wo das Pferd gewöhnlich weidete. Die Schlangen wurden mit würzigen Kräutern zugedeckt; und in dem Augenblick, als das Pferd Lust bekam, das Gras zu fressen, schnellten die Schlangen hoch und bissen es gerade in die Nase. Es gab ein fürchterliches Beben, und das Riesenpferd war verschwunden. Nun rückten sie dem Drachen zu Leibe, der wie jener Celestinas immer unsichtbar war. Der Holzfäller ging also, begleitet von der ganzen Schar, in den Wald bis zu jenem Nussbaum. Hier nahm er seine Nuss hervor, sagte den Zauberspruch, den die Hexe ihn gelehrt hatte, und liess die Nuss am Fuss des Baums, worin der Drache sich aufhielt, zu Boden fallen. Nach einer Weile begann die Erde zu beben, und plötzlich fing der Baum mit einem fürchterlichen Krachen Feuer und spaltete sich von zuoberst bis zuunterst; dabei brannte er weiter, doch ohne die andern zu treffen. Dadurch war der Drache erledigt. Nachdem sie sich von ihrer Angst erholt hatten, machten sich unsere Leute auf den Weg zum Haus des Drachen, um auch jene armen Teufel zu befreien, die von ihm eingesperrt worden waren. Aus dem schönen Hündchen war, durch das Beben des Baums, ein schöner Bursche mit schwarzem Kraushaar und blauen Augen geworden, der sofort Celestina umwarb, was jene sich sehr gern gefallen liess. Bevor sie durch das Haus zogen, um die Schönheiten und Reichtümer anzuschauen, die nun ihnen gehörten, öffneten sie die Kammer mit den armen Teufeln drin, und auch die waren überglücklich und langten bei dem, was ihnen ihre Retter auftischten, zünftig zu. Und sie blieben bei ihnen im Dienst.

Bald danach gab es eine wunderschöne Doppelhochzeit. Celestina mit dem schönen Burschen, der sich Ambrosi nannte, und Göri mit der schönen Inglina. Die Hochzeitsreise machten sie zu Celestinas Schloss, wo sie ein prächtiges Leben hatten, und dort werden sie noch sein, und das Märchen ist zu Ende.

(Oberengadin)

 

Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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