Der starke Dürst

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Starke Männer gab es zu allen Zeiten, und zu den stärksten gehörte der Fridli Dürst. Einmal brachten drei Berner einen lebendigen Riesen ins Land, den sie selbst an der Kette kaum zu bändigen vermochten. Sie stellten ihn auf Gassen und Plätzen aus und berichteten Wunderdinge über ihn. Berichteten auch, dass er’s mit jedem aufnehme, der sich ihm stellen möchte. Es möge einer sich aber wohl besinnen, denn der Riese sei schon mit ganz andern fertig geworden, als mit ein paar Ledigen, wie sie die Zigermannen wohl aufstellen könnten.

Nun gab es schon dazumal in jedem Dorf ein Dutzend Ledige, die sich nicht zu fürchten brauchten, wenn sie zu einem Hosenlupf gerufen wurden; einen richtigen Riesen aber von sieben Schuh Mass und etliches darüber hatte noch keiner von ihnen in den Fingern gehabt.

Als der Riese nun vor der Lintheler Kirche gezeigt wurde und die Berner auch hier das Maul aufrissen, als ob er die halbe Welt fressen möchte, der Riese dazu noch schreckhaft mit den Ketten rasselte, da ward den Ledigen nicht ganz wohl bei der Sache. Die Ehre des Dorfes verlangte, dass einer sich mit dem Riesen einlasse; jeder aber studierte an irgendeiner glaubhaften Ausrede herum, denn der Kampf schien allzu ungleich.

Wie sie so ratschlagten, da riet einer, den Fridli Dürst anzufragen, ob er’s auf sich nehmen wollte. Die andern lachten, denn der Dürst hatte wohl in jungen Jahren mit jeder Hand ein Sennkessi geradeaus halten können, jetzt aber war er ein graues Männchen, das nur noch von alten Zeiten erzählen konnte. Daraufhin aber wusste doch mancher dies und das zu berichten, was er eben noch vor Jahren, vor Monaten und Wochen sogar ausgeführt hätte, beim Holzen, beim Fuhrwerken und an andern Orten, wo es galt, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

Der Dürst, als sie mit ihrem Anliegen zu ihm kamen, kratzte sich in den Haaren: «Vor zehn Jahren noch hätt’ ich’s prästiert – aber heute ist das so eine Sache, und einen Riesen hab ich meiner Lebtag noch keinen auch nur von weitem gesehen.» Doch liess er sich zuletzt überreden, den Hosenlupf auszufechten.

Über Nacht hatten die Berner den Riesen in einem Gaden eingesperrt, damit er nicht ausbreche und Dummheiten anstelle. Wie nun der Fridli Dürst am Morgen anfing, vor der Gadentür zu johlen und zu locken, wie man einen Muni lockt, da liessen sie ihn heraus, so gross und breit wie er war. Der Fridli mass ihn mit seinen Augen von oben bis unten und rieb sich nachdenklich die Nase. Dann zog er sein Sennenkäpplein vom Kopf, warf es mitten auf die Strasse und sagte gelassen zu den vielen Leuten ringsum: «Da liegt das Käppli – und da liegt in fünf Minuten auch der Ries!»

Dann schoss er wie der Blitz auf den Riesen los, fuhr ihm in die Knie, packte und überzwirbelte ihn in einem Hau, so dass er haargenau auf das Käpplein zu liegen kam. Dort blieb er liegen und ist nicht mehr aufgestanden.

 

Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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