Das Schrättli

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Die Oberschwändi, welche des Thesen Thys von seinem Vater geerbt hatte, lag hoch über dem Tale auf einer Felswand. Bergsteiger, die dann und wann bei dem einsamen Bergheimetli rasteten, rühmten die weite Aussicht und meinten, es gäbe gewiss nichts Schöneres als wie ein Fürst von dieser luftigen Höhe auf die andern Leute hinabzuschauen. Thys pflegte zu solchen Schwärmereien nur vielsagend zu schweigen. «Jaja», dachte er, «Euch würde das Rühmen vergehen, wenn Ihr wie ich winters da oben bleiben müsstet und wochenlang nur Vierbeiner als Gesellschafter hättet!» Und dabei fiel ihm auch wieder das Schrättli ein. Sobald sich nämlich der Bergbauer abends auf dem Laubsack ausgestreckt hatte und zwischen Wachen und Träumen schwebte, hörte er das Schrättli an der Fensterwand heraufkrabbeln und zum geöffneten Zugscheiblein hereinhuschen. Mit einem Satz sprang es auf das Bett und setzte sich gerade auf des Thysen Brust. Es drückte und würgte ihn, dass er keuchend nach Atem rang. Er wollte um Hilfe schreien, brachte aber keinen Ton hervor. Einmal griff er im Halbschlaf mit beiden Händen zu und erwischte das Schrättli. Aber es zerrann ihm unter den Fingern wie warmer Schmer und schloff aus der Kammer, Thys wusste nicht ob durch das Läuferli oder das Schlüsselloch. So ging das beinahe Tag für Tag, so dass der Bauer die kommende Nacht schon am frühen Morgen ersorgte und erst zu Bette stieg, wenn im Tale unten ein Licht nach dem andern erloschen war.

Eines Winters plagte das Schrättli den Thys so arg, dass er es nicht mehr aushielt. In seiner Not ging er ins Dorf hinab und fragte dort einen alten Mann um Rat. Der Graukopf stieg mit dem Bauern in die Oberschwändi hinauf. Kaum hatte er des Thysens Stübli überschaut, so wusste er, was zu tun war. «Freilich», sprach er, «wenn du mit dem Kopf gegen das Tal zu schläfst, so lässt dir das Schrättli keine Ruhe. Das Fussende muss talwärts, das Kopfbrett bergseits stehen!» Sie drehten die Bettstatt um – und wirklich erschien seither kein Schrättli mehr. Es war auch besser, dass es den Oberschwändeler fortan in Ruhe liess, denn er legte vorsorglicherweise jeden Abend die scharf geschliffene Axt neben sich auf die Sidele.

 

Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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