Karl unter den Weibern

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Vor vielen und vielen Jahren war wieder Krieg im Lande Wallis, wie das eben keine Seltenheit. Das Kriegen war ehemals viel langweiliger, mühsamer und kraftanstrengender. Jetzt legt man in einer Stunde mehr Leute ins Kraut als früher in Monaten und Jahren und ein leichtfüssiger Schneiderjunge vermag jetzt im Felde so viel, als ein armfester Bergmann; nicht mehr die Leute entscheiden jetzt eine Schlacht, aber die besser eingerichteten Mordinstrumente.

Bei kriegerischen Aufläufen mussten ehemals die waffenfähigen Männer alle die Heimat verlassen und gegen den Feind ins Feld ziehen; — es gab damals noch keine bestimmte Miliz. Darum blieben nur abgelebte Greise und schwache Kinder daheim, denen aber die jammernden Weiber und klagenden Töchter — wer mag's ihnen verargen? — das Leben so bitter zu machen pflegen, dass es fast wohliger im Felde, als in der traurigen Heimat aussieht.

So war es auch in Zermatt in jenem Kriege, von dem ich erzählen will; alle wehrhaften Männer und Jünglinge waren ausgezogen; nur einer, mit Namen Karl, blieb zurück, um Ordnung zu halten. — Und es langte auf einmal Botschaft an, am Fusse des Theodulpasses im Aostatal sammle sich eine wilde Horde, um in Zermatt einzufallen und mit der wehrlosen Bevölkerung Unfug zu treiben. Zum grossen Jammer gesellte sich nun noch namenloser Schrecken. — Unser Karl verlor aber den Kopf nicht; schnell sammelte er die Weiber und kräftigen Töchter, liess sie die zurückgelassenen Kleider der Männer und Brüder anlegen und führte sie, mit allerhand Instrumenten bewaffnet, den Berg hinan dem Feinde entgegen. Im Furk, südlich Schwarzsee, zuunterst der Hochegge am Fusse des Passes, nahm er mit seiner Kriegerschaar Posten, liess eine Art Schanze aufwerfen und Steine sammeln, um dem Feinde an einer hohen Felswand den Durchpass zu wehren.

Wirklich erschienen die Feinde bald auf der Passhöhe und bemerkten die Vorkehrungen, die man zu ihrem Empfange getroffen. Sie sandten darum Spione ab, um auszukundschaften, mit was für einem Feinde es wohl gelte. Diese durchmusterten alles genau und fragten verwundert den Anführer Karl, wie er da wohl seltsame Krieger habe, die ihre Brust so hoch trügen. Dieser antwortete, der Mut, die Wut und die grosse Kampflust mache ihnen das Herz so hoch anschwellen. — Die Spione kehrten bedenklich zurück — und vom Feinde war nichts mehr zu vermerken. — Das ist die Geschichte Karls unter den Weibern. — Noch jetzt wird jeder so genannt, der allein unter Weibervolk weilt.

(erzählt von Herrn Kaplan Mooser)

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

Diese Website nutzt Cookies und andere Technologien, um unser Angebot für Sie laufend zu verbessern und unsere Inhalte auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie können jederzeit einstellen, welche Cookies Sie zulassen wollen. Durch das Schliessen dieser Anzeige werden Cookies aktiviert. Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Cookie Einstellungen

Diese Cookies benötigen wir zwingend, damit die Seite korrekt funktioniert.

Diese Cookies  erhöhen das Nutzererlebnis. Beispielsweise indem getätige Spracheinstellungen gespeichert werden. Wenn Sie diese Cookies nicht zulassen, funktionieren einige dieser Dienste möglicherweise nicht einwandfrei.

Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Das können unter Anderem folgende Cookies sein:
_ga (Google Analytics)
_ga_JW67SKFLRG (Google Analytics)
NID (Google Maps)