Es war einmal ein Ochse, der war sehr gross. Er war so gross, dass er an einem Tag alles Gras auf den Weiden gefressen hatte und alles Wasser aus dem Bach getrunken. Aber er hatte immer noch einen riesengrossen Durst. Um ihn herum waren acht hohe Berge, einer höher als der andere. Auf dem siebten Berg wuchs noch ein wenig Gras. Der Ochse streckte sich und frass es auf. Dann sah er hinter dem achten Berg einen Fluss. Er streckte sich und trank alles Wasser aus dem Fluss auf.
In diesem Augenblick flog ein grosser Adler über die acht Berge und sah den Ochsen. Er flog hinab, packte ihn mit seinen Krallen und flog mit ihm davon. Er suchte einen Ort, wo er den Ochsen in Ruhe fressen konnte, doch alle waren zu klein.
Da sah er endlich einen Steinbock, der hatte sehr grosse Hörner und auf diesen Hörnern liess sich der Adler nieder und frass den Ochsen auf, bis nur noch die Knochen übrig waren, die warf er hinunter ins Tal.
Dort sass ein Mann, der hütete die Schafe. Ihn trafen die Knochen vom Ochsen ins Auge. Aber der Schäfer blinzelte nur einmal und blieb ruhig sitzen. Als er am Abend nach Hause ging, sagte er zu seiner Mutter: „Mir ist etwas ins Auge geflogen, bitte zieh es raus.“
Die Mutter schaute nach und sagte: „Das sind Ochsenknochen. Ich rufe die starken Männer im Dorf, sie sollen helfen, die Knochen aus deinem Auge zu ziehen.“
Die Männer kamen und zogen mit Seilen die Knochen heraus. „Daraus können wir uns Häuser bauen!“, riefen sie. Sie bauten sich aus den Knochen schöne Häuser, wohnten darin und waren zufrieden
Aber einmal in der Nacht wackelten die Häuser. „Was könnte das sein‘“, fragten die Leute. In der nächsten Nacht versteckten sich die mutigsten Männer und warteten. Da sahen sie, dass ein Fuchs kam, in die Knochen des Ochsen biss und so alle Häuser zum Wackeln brachte.
„Wir müssen ihn fangen“, sagten sie, doch sie fürchteten sich, denn der Fuchs war sehr gross. Sie baten hundertfünfundzwanzig Dschigiten, Kämpfer mit Pferden, den Fuchs zu fangen. Und wirklich: In der nächsten Nacht fingen sie den Fuchs.
„Das ist ein schöner, grosser Fuchs“, sagten sie. „Aus seinem Fell kann man viele Pelzmützen machen.“ Sie nahmen das Fell vom Fuchs, es reichte für hundertfünfundzwanzig Pelzkappen und es war immer noch die Hälfte übrig.
Am nächsten Morgen ging eine alte Frau mit einem Kessel und der Schöpfkelle zum Brunnen. Da sah sie den Rest vom Fuchsfell liegen. „Das gibt einen schönen Mantel für meinen Enkel“, dachte sie und nahm das Fell mit. Zuhause nähte sie und nähte, aber obwohl das Fell so gross war, es reichte nicht mehr für die Ärmel.
Jetzt frage ich euch: Wer war der Grösste? Der Ochse, der Adler, der Steinbock, der Schäfer, der Fuchs oder der Enkel?
Tschetschenisches Märchen, Fassung Djamila Jaenike, nach: V. Gazak, Das Buch aus reinem Silber, Düsseldorf 1984