Ein Hirtenjunge fand einmal ein besonders schönes Veilchen, das war viel grösser als alle, die er je gesehen hatte. Er pflückte die Blume vorsichtig, trug sie nach Hause und zeigte sie seinem Vater. Der Vater wunderte sich und sprach: «Heute Nacht erschien mir diese Blume im Traum und eine Stimme sagte mir, ich solle dreimal daran riechen.» Er hob die Blume an seine Nase, roch dreimal daran und auf einmal erschien ein kleines graues Männlein, das sprach: «Komm und folge mir!» Der erschrockene Junge wollte den Vater zurückhalten, doch dieser sagte: «Bleib du hier, hüte Haus und Tiere und warte auf mich.» Dann ging er mit dem grauen Männlein fort. Bald kamen sie zu einem alten Gemäuer, wo früher einmal eine Burg gestanden hatte. Unter der alten Mauer war ein Saal, darin sassen an einem Tisch zwölf kleine Erdleute und liessen es sich schmecken. Oben an der Wand aber hing eine Uhr. Das graue Männlein zeigte auf die Uhr und sagte: «Du sollst uns die Wanduhr wieder in Gang bringen. Sie ist heute Nacht stehen geblieben.» Der Mann sah, dass keines der Männlein gross genug war, um bis zur Uhr zu gelangen. Er stellte die Zeiger und stiess das Pendel an, das sogleich hin und her schwang. Als der Mann nach Hause kam, hörte er schon lautes Blöken, Muhen und Wiehern und als er nachschaute, sah er viele Schafe, Kühe und Pferde im Stall stehen. Das war der Dank der Erdleute gewesen. Das Veilchen aber war ganz golden geworden, und der Hirtenjunge hörte seitdem ein feines Ticken, wenn er sein Ohr auf die Erde legte.
aus: Blumenmärchen aus aller Welt, © Mutabor Verlag
Bericht im Märchenforum Nr. 61
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch