Die Geschichte von den fünf Räubern

Land: Schweiz
Region: Ajoie
Kategorie: Zaubermärchen

Im Clos-du-Doubs lebte einmal eine Witwe, die hatte eine sehr schöne Tochter. So kam es, dass die Mutter nach Sonnenuntergang die Haustür fest verschliessen musste, weil viele junge Männer das hübsche Mädchen besuchen wollten oder an ihr Fenster klopften.
Einmal aber hatte die Witwe Lust auf Himbeerkuchen und sie sagte zu ihrer Tochter: «Nimm diesen Korb und geh in der Combe-aux-Merles Himbeeren pflücken!»

Die junge Frau machte sich auf den Weg, war bald bei den Himbeersträuchern und begann zu pflücken. Aber der Sohn des Burgherrn von Asuel hatte sie heimlich beobachtet. Schon lange war er in das Mädchen verliebt. Er half ihr beim Pflücken, sie plauderten miteinander, waren ein Herz und eine Seele und schliesslich sagt der junge Mann: «Lass uns morgen fliehen und weit weg von hier heiraten und zusammen glücklich sein.»
Die junge Frau war einverstanden und machte sich auf den Heimweg, um zu Hause alles für die Flucht vorzubereiten.

Nun war aber ihre Mutter eine Hexe, und ausgerechnet an diesem Abend wollte sie ihre Tochter zum ersten Mal zum Hexensabbat mitnehmen. Sie rieb sich und ihre Tochter mit Wolfsfett ein, wartete, bis es Mitternacht schlug und sagte dann zu ihr: «Stell einen Fuss auf den Kamin und sage folgenden Zauberspruch: Zum Teufel, nach oben!»

Die Tochter aber murmelte: «Bei Gott, ich bleibe hier!»

Die Mutter sauste durch den Kamin davon und merkte nicht, dass die Tochter ihr nicht folgte. Auf dem Tanzplatz warteten schon alle und der Teufel rief: «Wo ist deine Tochter?»

Da erst merkte die Mutter, dass das Mädchen nicht da war. «Sie hat sich wohl verirrt», sagte sie, aber der Teufel antwortete: «Falsch, ganz falsch. Sie ist aus dem Haus geflohen um den Sohn des Burgherrn von Asuel zu treffen. Aber wir haben sie erwischt und in einen Kerker gesteckt, wo niemand sie jemals wieder findet. Wage es nicht, sie zu suchen!»

Als die Mutter wieder nach Hause kam, sah sie, dass der Teufel die Wahrheit gesagt hatte und sie begann bitterlich zu weinen. Am nächsten Tag sagte sie zu sich selbst: «Wenn der Sohn des Burgherrn meine Tochter liebt, so wird er sie auch finden!»

Sie suchte den jungen Mann und erzählte ihm alles.

«Ich werde sie suchen und finden!», versprach dieser und machte sich gleich auf den Weg.

Mit seinem Pferd ritt er schnell wie der Wind am Fluss entlang. Da sah er auf einmal einen Mann, der mit einer Stange von einem Ufer zum anderen sprang.

«Wer bist du und was machst du da?», fragte der junge Mann.

«Ich heisse Montag. Man hat mich von zu Hause verjagt, weil ich über die Häuser gesprungen bin, jetzt springe ich über den Fluss, um die Langeweile zu vertreiben.»

«Komm mit mir, und hilf mir, meine Liebste zu befreien!»

Er versprach ihm viele Taler, und so gingen sie gemeinsam weiter. Als es dunkel wurde, sahen sie einen Mann, der die Laternen der Fischer auf der anderen Seite des Flusses ausblies.

«Wer bist du und was machst du hier?», fragte der junge Mann.

«Ich heisse Dienstag. Man hat mich verjagt, weil ich vom Turm des Schlosses aus alle Lampen ausgeblasen habe. Jetzt blase ich die Laternen aus und vertreibe die Langeweile.»

«Komm mit uns, und hilf mir, meine Liebste zu befreien!»

Er versprach auch ihm einige Taler, und so gingen sie zu dritt weiter. Am nächsten Morgen sahen sie einen Mann, der wie ein Pfahl am Ufer stand und auf die andere Seite des Flusses blickte, ohne sich zu bewegen.

«Wer bist du und was machst du da?», wollte der junge Mann wissen.

«Ich heisse Mittwoch. Man hat mich verjagt, weil ich alles zählen kann, sogar einen Bienenschwarm aus einer Stunde Entfernung. Jetzt zähle ich die Ameisen, um die Lageweile zu vertreiben.»

«Komm mit uns, und hilf mir, meine Liebste zu befreien!»

Die Taler wurden auch ihm versprochen, und sie gingen zu viert weiter. Bald sahen sie einen Mann, der sich die Hände hinter die Ohren hielt und lauschte.

«Wer bist du und was machst du da?», fragte der junge Mann.

«Ich heisse Donnerstag. Sie haben mich verjagt, weil ich alles auf dieser Welt hören konnte. Jetzt höre ich den Mücken beim Summen zu und vertreibe mir die Langeweile.»

«Komm mit uns, und hilf mir, meine Liebste zu befreien!»

Für einige Taler kam auch Donnerstag mit, und sie gingen zu fünft weiter. Da sahen sie am Ufer einen Mann stehen, der schnüffelte und roch in der Luft.

«Wer bist du und was machst du hier?», fragte der junge Mann.

«Ich heisse Freitag. Man hat mich verjagt, weil ich jeden Duft riechen kann. Jetzt schnuppere ich nach frischem Thymian, um die Langeweile zu vertreiben.»

«Komm mit uns, und hilf mir, meine Liebste zu befreien!»

Dank dem versprochenen Lohn waren sie nun zu sechst und wanderten bis zu einem grossen See mit vielen Inseln.

«Montag, bitte springe von einer Insel zur anderen und suche das Schloss, wo meine Liebste im Kerker gefangen ist.»

Montag sprang los und war nach einer Stunde wieder zurück und sagte: «Es gibt hundert Schlösser auf den Inseln, aber nur eins mit einem Kerkerfenster.»

«Lieber Donnerstag, bitte horche, ob du meine Liebste seufzen hörst.»

Sogleich zeigte Donnerstag in die Richtung, aus der das Seufzen kam, es war das Schloss mit dem Kerkerfenster.

«Lieber Freitag, kannst du den Veilchenduft meiner Liebsten riechen?»

Schon hielt Freitag seine Nase in die Luft und erschnupperte den Veilchenduft. Da bestiegen sie ein Schiff und fuhren zu der Insel mit dem Schloss, wo das Mädchen eingesperrt war. Es war dunkle Nacht, als sie dort ankamen, und draussen brannten viele Kerzen.

«Lieber Dienstag, blas die Kerzen aus, damit uns niemand sieht.»

Und schon blies Dienstag die Kerzen aus und sie konnten unbemerkt zum Schloss gelangen.

«Lieber Mittwoch, schau, ob du die zarte Hand meiner Liebsten siehst.»

Mittwoch schaute und sagte: «Ich sehe eine zarte Hand und ein blaues Halstuch und…»

In diesem Augenblick trat ein Wächter hervor und rief: «Sagt das Kennwort!»

Der junge Mann überlegte gerade, welche seiner Freunde ihm schon geholfen hatten: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag.. und als er die Stimme des Wächters hörte, sagte er: «Samstag!»

«Zu wem wollt ihr?», wollte der Wachmann wissen.

«Sonntag!», antwortete der junge Mann ohne nachzudenken.

«Wartet hier, ich hole sie», sagte der Wächter und kam bald darauf mit der jungen Frau zurück.

Die beiden Liebenden umarmten und küssten sich und dann kehrten alle zusammen mit dem Schiff zurück und machten sich dann auf den Heimweg.

Der junge Mann wusste nicht, dass seine fünf Freunde in Wirklichkeit Räuber waren. Untereinander hatten sie schon lange ausgemacht, dass sie den jungen Mann loswerden wollten, denn auch sie hatten sich in das Mädchen verliebt.

Als sie endlich zu Hause ankamen, war die Mutter überglücklich, ihre Tochter wieder bei sich zu haben. Der junge Mann bat denn auch gleich um die Hand ihrer Tochter, aber Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag sagten: «Wir wollen das schöne Mädchen auch heiraten!»

Nun war guter Rat teuer. Deshalb sagte die Witwe: «Ich gebe sie dem, der als erster bei der Fichte ist, wo die Elster im Wipfel sitzt. Morgen soll der Wettstreit beginnen.»

Am nächsten Tag, als die Sonne aufging, versammelten sich die Männer vor dem Haus der Witwe. Kurz bevor es losging, flüsterte diese dem jungen Mann etwas ins Ohr. Dann rannten alle los, aber kurz darauf blieb der Sohn des Burgherrn stehen. Die fünf Starken aber rannten und rannten und sahen nicht, dass vor der Fichte ein Abgrund war, in dem sie für immer verschwanden. Das Loch gibt es immer noch, man nennt es Emposieu-aux-Brigands, das Räuberloch.

Am Martinstag wurde Hochzeit gefeiert. Es gab ein schönes Fest und die beiden lebten noch lange glücklich auf Burg Asuel. Die Witwe aber soll später ins Kloster gegangen sein, wer weiss, ob das wahr ist. Auf dem Hexentanzplatz hat man sie auf jeden Fall nicht mehr gesehen.

 

Aus: G. Lovis, J. Surdez, Vieux Contes du Jura, Porrentruy 1991, unter dem Titel: «La fable des cinq brigands». Aus dem Französischen übersetzt und neu erzählt unter Mitwirkung von Maggie Rüeger.

© Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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