Sechs Gefährten kommen überall durch

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal ein alter Soldat, der lange im Dienst des Königs gewesen war. Doch zuletzt war er so alt geworden, dass er nicht mehr im Stande war, seinen Dienst zu leisten. Da entliess der König ihn. Statt ihm jedoch eine schöne Pension zu geben, wie es sich gehört hätte, gab er ihm nur drei Batzen. Das ärgerte den armen Alten furchtbar, und als er fortging, dachte er: «Wart du nur, du verdammter, undankbarer Geizhals, dir will ich es schon zeigen, und wenn du mich auch um den Lohn beschissen hast, so hole ich ihn mir mit Gewalt!»

Da kam er in einen Wald und sah dort einen Burschen, der die Bäume mit der Wurzel ausriss, als wären es Grashalme. Der alte Soldat fragte: «Was machst du da?» - «Ich sammle etwas Holz für meine Mutter», antwortete der Bursche. «Ach was, was zum Teufel bleibst du hier und sammelst Holz, komm mit mir, wir zwei kommen wohl durch die Welt!» - «Gut, ich werde kommen; doch zuerst muss ich noch mit dem Holz nach Hause.»

Nach kurzer Zeit kehrte der Bursche zurück, und die beiden Gefährten zogen mit Gottvertrauen in die Welt hinaus, immer der Nase nach. Es dauerte nicht lange, so kamen sie auf einen Hügel und fanden dort einen, der sass da, hielt ein Nasenloch zu und blies mit dem andern gegen das Tal hinunter. »Was machst du hier, guter Freund?» fragte ihn der alte Soldat. «Ich puste, um jene Windmühle dort drüben neben jenem Weiler anzutreiben», antwortet er. «Ach, da sei uns Gott bevor. Du bist im Stande, jene Windmühle bloss mit deinem Schnauf anzutreiben? Dann komm mit uns! Wir drei kommen überall durch! Was willst du hier bleiben und dein Lebtag pusten?» Und der mit der Puste ging auch mit den andern beiden.

Nach kurzer Zeit sehen sie am Weg einen Mann mit nur einem Bein sitzen, das andere hatte er neben sich im Gras liegen. Sie gingen zu ihm, und der Soldat fragte: «Was machst du hier? Warum hast du ein Bein abgenommen?» - «Nun, weil ich mit beiden viel zu schnell wäre.» - «Du musst mit uns kommen. Wir kommen wohl durch auf dieser sündigen Welt.» Und der, welcher ein Bein abgenommen hatte, ging auch mit.

Sie kamen dann in einen Wald auf einen Berg. Dort fanden sie einen Jäger, der zielte. «Worauf zielst du?» fragte ihn der Soldat. «Auf jene Mücke dort drüben auf jenem andern Berg.» - «Aber kannst du so weit sehen?» - «Und ob! Sonst würde ich nicht zielen.» - «Ach, du musst mit uns kommen, wir verdienen uns unser Brot leicht und kommen überall durch.» Und der Jäger ging auch mit ihnen, und sie wanderten weiter bergauf.

Zuoberst auf dem Berg sehen sie einen, der sitzt faul da und raucht seine Pfeife. «Hallo, was machst du da, du Pfeifenschmaucher?» fragt der Soldat. «Vorläufig nichts», antwortet der Raucher. «Aber weshalb stehst du hier oben mit dem Hut schräg auf einem Ohr und schaust immer herum?» - «Ich muss auf die Kälte aufpassen. Wenn ich den Hut gerade rücke, wird es so kalt, dass Stein und Bein gefriert.» - «Oh, du hast uns noch gefehlt! Komm mit uns! Wir sechs kommen bestimmt überall durch; ich möchte gern sehen, wer mit uns fertig wird!»

Und der mit dem schrägen Hut war von nun an auch dabei.

Jetzt ging der alte Soldat sofort zum König mit seinen fünf Gefährten, denn mit deren Hilfe wollte er sich seinen Sold für die vielen Dienstjahre auszahlen lassen.

Und gerade als sie zum König kamen, fanden sie dort eine Menge Leute versammelt. Der König hatte eine Tochter, die rannte so schnell, dass es niemand mit ihr aufnehmen konnte. Als sie zwanzig Jahre alt geworden war und der König sie verheiraten wollte, liess er bekannt machen, dass jener, der rascher renne als seine Tochter, diese zur Frau und die Hälfte seines Königreichs als Mitgift bekomme.

Sogleich ging auch der alte Soldat hin und meldete sich an, stellte jedoch die Bedingung, dass einer seiner Gefährten an seiner Stelle rennen könne. Dies wurde ihm gewährt, und er wählte für das Rennen jenen, welcher gewöhnlich nur auf einem Bein ging.

Sogleich wurde die Rennstrecke bestimmt: Bis zu einer bekannten Quelle zuoberst auf einem recht hohen Hügel, dort musste jeder Wasser trinken, ein Büschel Brunnenkresse, die nur dort wuchs, pflücken und dem König bringen.

Die Königstochter und der Läufer des alten Soldaten rannten miteinander los. Doch bald war der Gefährte Läufer ein schönes Stück voraus, denn er hatte sich selbstverständlich auch das andere Bein angeschnallt. Als er sah, dass die Königstochter nicht nachkam, legte er sich ein wenig hin. Doch es ging nicht lange, und er schlief ein. Die Königstochter schlich ganz leise an ihm vorbei, gelangte zur Quelle, machte kehrt und ging wieder am Schläfer vorbei. Aber der Gefährte Jäger ging nachsehen, was da los sei, denn ihr Läufer hätte schon lange wieder zurück sein sollen. Er merkte, dass dieser schlief, und auch, dass die Königstochter schon auf dem Rückweg war. Da nahm er sein Gewehr und feuerte einen Schuss gerade neben die Ohren seines Gefährten.

Der sprang sofort auf die Füsse und sah, dass die Königstochter sich schon auf dem Rückweg befand. Er überlegte nicht lange. Wie der Wind rannte er zur Quelle hinauf, trank ein wenig Wasser, nahm ein Büschel Kresse und weg hinterher. Nach einem kurzen Augenblick überholte er die Königstochter und kam noch eine rechte Weile vor ihr beim König an.

Der alte Soldat hatte gewonnen, und der König musste ihm seine Tochter und die Hälfte seines Königreichs geben. Das missfiel dem König. Seine junge und schöne Tochter diesem hässlichen alten Soldaten geben! Das konnte er nicht tun. Deshalb fragte er den alten Soldaten, wie viel er verlange, damit er ihm seine Tochter lasse und von der Heirat absehe. Das war es gerade, was der Soldat wollte, denn er hatte keine grosse Lust zu heiraten. Er forderte vom König deshalb einen Sack voll Gold, mit all dem, was einer seiner Gefährten im Stande sei wegzutragen. Damit war der König einverstanden.

Der Soldat bestimmte für diese Arbeit den starken Gefährten, jenen, der die Bäume entwurzelt hatte. Sie liessen eigens einen Sack machen, wirklich einen furchtbar grossen Riesensack. Der König tat alles Gold hinein, das am Hof war: Münzen, Ohrringe, Halsketten, Löffel, Gabeln, kurz und gut, alles, was er hatte. Doch der Sack war kaum halbvoll. Da befahl er, dass in seinem ganzen Königreich jeder das Gold, das er besitze, bringen solle. Und alles gehorchte, und es wurden Schürzen voll Gold herbeigetragen. Und alles wurde in den Sack geworfen. Doch der war noch immer nicht voll. Als der Soldat sah, dass wirklich alles Gold des Königreichs hergegeben war, sagte er, er wolle sich jetzt mit dem zufrieden geben.

Der König hoffte jedoch immer noch, dass der Geselle nicht im Stande sei, alles zu tragen. Aber der schulterte den Sack, wie wenn nichts wäre, und die sechs Gefährten reisten vom Hofe ab.

Als der König das ganze Gold, das er in seinem Lande hatte, mit ihnen wegziehen sah, bereute er es, dass er alles jenem verdammten alten Soldaten gegeben hatte. Und er beschloss, ihn mit seinen Soldaten zu verfolgen. Und die waren ganz damit einverstanden; denn womit nämlich sollten sie besoldet werden, wenn sowohl der König als auch das ganze Land kein Gold mehr hatte? Also machte sich das ganze Heer des Königs an die Verfolgung der sechs Gefährten.

Doch als die das ganze Soldatenvolk des Königs kommen sahen, um sie zu fangen, da gab der alte Soldat dem Gefährten mit der Puste den Befehl, das Heer zum Rückzug zu zwingen. Der begann, mit einem Nasenloch gegen die Soldaten zu pusten, und alle mussten zurückweichen und sich gut festhalten, um nicht hinzufallen.

Unsere sechs Gefährten gingen weiter. Der König aber wollte sich noch nicht geschlagen geben. Er zog mit seinem Heer den Berg hinauf, um dann von der andern Seite vorzurücken und den sechs Gefährten in den Rücken zu fallen. So, glaubte er, er habe mehr Kraft, und der Wind könne sein Soldatenvolk nicht zurückhalten. Doch als die sechs Gefährten die Soldaten den Berg hinunter auf sich zukommen sahen, da rief der alte Soldat den mit dem schrägen Hut zu sich her. Und der rückte seinen Hut gerade und zog ihn bis zu den Ohren hinunter. Sogleich wurde es auf der Seite, wo er hinsah, schrecklich kalt. Die Soldaten des Königs begannen zu frieren, so dass sie zitterten wie Espenlaub, und manchen erfroren Hände und Füsse. Keiner wollte mehr weitergehen; sie machten kehrt und liefen zurück nach Hause.

Die sechs Gefährten konnten dann ungestört weiterziehen. Sie teilten das Gold und waren ihr Lebtag reich genug, um ohne Sorgen zu leben. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

(Unterengadin)

 

Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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