Die Alraune

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Die Alraune stand im Rufe glücklich zu machen, Schätze aufzudecken, die Reichtümer zu vermehren, vor Unfällen zu sichern, den Teufel günstig zu stimmen, den Donner abzuhalten, der Feuersbrunst zu wehren, die Herden zu schirmen, vor Pest zu behüten, das Leben zu verlängern, mit einem Worte, dem Geist, dem gesunden Verstand, der Urteilskraft, der Geschicklichkeit und dem Glücke derjenigen aufzuhelfen, die an solchem Mangel litten. Es gab Kaufleute, die damit Handel trieben und die es verstanden, ihr jene halb menschliche Form vollends zu geben, welche die Natur bereits entworfen hatte. Man bekleidete sie dann, pflegte sie wie ein Kind, bis der üble Geruch, den sie von Natur aus besitzt, infolge der Fäulnis unerträglich wurde, dann warf man sie weg, um sich mit einer frischen zu versehen.

Alraunen glaubte man zu finden unter einer grossen Haselstaude, an welcher eine Mistel wuchs. Man musste dann gerade so tief in die Erde graben als hoch an der Staude die Mistel sass. In einer solchen Tiefe fand man nun die Alraune. Fand jemand eine Alraune, die nicht verdorben war, so warf sie ihm täglich eine Rente von 5 Schillingen ab. Die Alraune ist eine Pflanze; weit um dieselbe herum wird die Erde aufgegraben, dann eine Schnur um sie befestigt. Nun ist zu wissen, dass wenn eine Alraune aus ihrer Erde enthoben wird, sie ein jämmerliches Geschrei erhebt und wer es in der Nähe hört, muss sterben. Daher nimmt man einen schwarzen Hund mit, bindet dem die Schnur, woran die Alraune befestigt worden, an den Schwanz und entfernt sich. Der Hund hat nun die Aufgabe, beim Weglaufen die Alraune dem Erdreich zu entreissen.

Wer eine Alraune besass, durfte derselben nur Geld unterlegen, um die Hälfte mehr zu bekommen. Man konnte dieses Finanzgeschäft wiederholen, so oft man wollte, wenn man nur immer ein anderes Geldstück unterlegte; sonst bekam man nicht das Doppelte. Solche Alraunen, die hauptsächlich an Fronfasten entdeckt werden, aber waren niemand anders als der Teufel selbst, dem je der dritte Besitzer einer solchen unwiderruflich mit Leib und Seele verfallen war.

In der Mitte des 18. Jahrhunderts lebte in Giswil ein hochgeachteter Mann, Landesfähnrich Melker Schäli. Er starb 1793. Er war reich und angesehen im ganzen Lande. Mehrere schöne Heimwesen in der Gemeinde waren sein eigen, sowie auch drei Iwi im Kleinteilerberge. Vier bis fünf Knechte standen jahraus jahrein in seinem Dienste und nebstdem noch viele Taglöhner. Geld hatte er in Hülle und Fülle und wusste jeden guten Schick zum voraus, denn er besass eine Alraune, die ihm alles hinterbrachte. Alles Geld, das er ihr unterlegte, vermehrte sich um die Hälfte. Die Knechte wussten von dieser Teufelskunst und berieten, wie sie die Alraune erspähen könnten. Schon längst hatte man erfahren, dass der Landesfähnrich mitten in der Nacht die Alraune speisen müsse. Unzählige Abende waren die Knechte auf der Lauer, allein ohne Erfolg. Eines Abends aber hörten sie um elf Uhr ein Krachen und Tosen und punkt zwölf Uhr ging die Stubentüre auf, der Landesfähnrich erschien mit einem ganz kleinen Kinde auf dem Arme, fachte das Feuer auf der Erdplatte an und bereitete Milch für das kleine Geschöpf. Auf dem Feuerherd sass eine kohlenschwarze Katze und glotzte in der Küche herum. Auf einmal rief sie mit starker Stimme wie ein Mensch: „Är liogt, är liogt !'" worauf Feuer, Licht, Mann, Kind und Katze verschwand. Seither gelüstete es die Knechte nicht mehr die Alraune zu sehen. Der Landesfähnrich musste nach dem Tode wandeln; man sah ihn oft im Hause mit gestösselten Hosen und Silberschnallen auf den Schuhen.

In einer Teilsame von Alpnach wurde einst eine Alraune gefunden; es kam nun die Frage vor die Teilergemeinde, ob die Alraune zu erwerben sei oder nicht, da man nicht wisse, ob die Alraune nun in dritte Hand komme, denn in letzterem Falle würde derjenige, der die Alraune besitzt dem Teufel verfallen sein. Es wurde beschlossen, die Alraune nicht zu erwerben.

In Schoried grub man in einem Garten eine Alraune hervor, und als die Leute diese nach Hause brachten, erschrak die Hausfrau nicht wenig und befahl ernstlich, die Alraune gleich wieder an den vorigen Platz zurück zu tragen, sie dulde nichts dergleichen in ihrem Hause.

In Giswil lebte ein Mann, der sehnlichst verlangte, eine Alraune zu besitzen. Eines Tages kam er ins Berneroberland, wo er einen Arzt traf, der ein solches Wunderding besass. Der Giswiler voller Freude kaufte dasselbe in einem Fläschchen und ging nach Hause. Aber ach, als er wieder in seinem Heimwesen anlangte fand er im Fläschchen leeren Kot und Pflanzenreste.

Im Grüth in Sachseln beobachtete man vor bald hundert Jahren auf einer Haselstaude eine Mistel. Man grub nach und fand in einem Kupferkessel, so tief unter der Erde, wie die Mistel über der Erde sich befand, in Leinen eingewickelt eine Alraune. Das war der Teufel in Gestalt eines Kindes. Wurde nun zu diesem Kinde Geld in die Wiege gelegt, so konnte nach jedem Bettnässen der hundertfache Betrag der Wiege entnommen werden. Wer sich aber auf besagte Weise bereicherte, der war zweifellos dem Teufel verfallen.

Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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