Wie die Alp Surenen an die Urner kam

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

‏Viele hundert Jahre sind es seitdem. Ein Knabe hirtete in der Alp Surenen die Schafe. Sie heisst so, weil einst der wilde Bach diesen Namen führte, der in ihr den Ursprung nimmt und nun Engelberger Aa genannt wird. Damals gehörte die Alp den Engelbergern. Der Knabe, wenn es ihm an Speise gebrach, schlachtete ein Schaf, und als er dann mehrere Häute beisammen hatte, trug er sie in der Nacht nach Ursern zum Vertausch um Käse und Zieger. Eben war dies geschehen, als eine Truppe Lämmer und Schafe aus Welschland her anlangte. In der ganzen Hirti besass er keine solchen, noch hatte er je dergleichen gesehen. Er begann um ein junges Lamm inständig zu bitten und zu flehen. Man hielt ihm vor, er habe ja kein Geld zum Bezahlen und sei nur ein Bettelbub. Aber der Surenenhirte gab nicht nach und bettelte fort. Endlich verhiessen sie ihm das Lämmchen, wenn er auf aufknieen einen Rosenkranz beten wolle. Denselben habe er von der Mutter gelernt, aber wenig geübt, gab er zur Antwort, erfüllte dann aber die Bedingung und erhielt den Lohn. Im Jubel kehrte der Knabe über die Surenenecke nach der Alp zurück. Seine Liebe zu dem erworbenen Tierlein war über alle Massen gross. Es musste mit ihm essen, schlafen und immer um ihn sein. Endlich dachte er, es sollte auch getauft werden, er sei es ja auch; er ging deshalb über die Surenenecke hinab nach Attinghausen in die Kirche, allwo er den Taufstein erbrach und Taufwasser nahm. Auf dem gleichen Weg zurückgekehrt, taufte er das Tier nach dem christlichen Glauben. Kaum war dieser Frevel geschehen, so erbrauste ein furchtbarer Sturm in den Lüften. Das liebste, niedlichste Lamm verwandelte sich in ein furchtbares Ungeheuer, das sogleich seinem Hirten durch ein grauenvolles Ungewitter die Hütte zerschmetterte, dann über ihn her stürzend, die Sakramentschändung in seinem Blute rächte. Weder Menschen noch Vieh verschonte und duldete das Gespenst mehr auf der Surenen, selbst der Boden büsste an Fruchtbarkeit ein. Die Leute nannten den schrecklichen Unhold fortan das Greiss. Den Engelbergern verleidete die Alp und sie gaben sie den Urnern wohlfeil, um Zweischilliger, hin. Den Urnern tat sie ebensowenig gut, und sie waren übelfeil daran, wie die früheren Besitzer. Endlich wusste ein vorbeireisender Schüler guten Rat, nachdem die Herren von Uri ihm den Becher sieben Mal mit welschem Wein und den Geldbeutel mit Kronen gefüllt hatten. Sie sollten ein silberweisses Kalb aufziehen und neun Jahre lang mit reiner Milch tränken und zwar das erste Jahr mit der Milch von einer Kuh, das zweite Jahr von zweien und so fort bis auf neun. Dann sollten sie den Stier durch eine reine Jungfrau in die Alp hinaufführen lassen, in der das Greiss spukte. Der Rat wurde getreulich befolgt. Nachdem die neun Jahre um gewesen, wurde Agnes, die Tochter der Freiherrn von Attinghausen, ausersehen, zum Frommen des Landes das Rettungswerk zu unternehmen. Schneeweiss gekleidet, bräutlich geschmückt, mit dem Segen der Geistlichkeit versehen, zog sie aus, den Stier an einem Nasenring auf verlassenen Pfaden in die Surenenalp hinaufführend. Dunkle Wolken hüllten die Surenenecke ein und grelle Blitze zuckten; plötzlich erfolgte ein Donnerschlag, dass die Berge erbebten; dann zerteilte sich das Gewölk — das Greiss lag in schwarzem dampfenden Blute. Der Uristier hatte das Greiss überwunden und getötet; aber auch der sieghafte Stier wurde ein Opfer des Kampfes und an der Stelle, wo er tot hinsank, entsprang eine Quelle, die bis heute der Stierenbach heisst. An einem Felsen zeigt man seine Fussspuren, die er im Streite geschlagen. Agnes war spurlos verschwunden. Vom Greiss war die Gegend befreit. Aber noch immer, wenn auf der Alp junges Rindvieh plötzlich tot dahinfällt, sagen die Hirten, das Greiss habe es getroffen. Das Volk von Uri beschloss an der Landsgemeinde, das Haupt des sieghaften Stieres mit dem Nasenring auf ewige Zeiten ins Landeswappen aufzunehmen.

Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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