Der Kaiserstuhl

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

‏Auf den gegen Uri hin gelegenen Alpen Bannalp und Sinsgäu erschien in längst vergangener Zeit alljährlich im Herbst, wenn die Sennen schon zur Talfahrt rüsteten, ein seltsamer Jägersmann. Er war ganz in Gemsfelle gekleidet und lud bei seiner Ankunft die Älpler auf Sinsgäu und Oberalp jedes Mal zu einem Festmahle auf der freien Höhe des Bannalpgebietes ein. Es war ein kaiserliches Mahl, an welchem das köstliche Wildbret der Gemsen, Munggen, der Schnee- und Birkhühner und der Alpenfasanen herumgeboten wurde; auch die zarten Forellen aus dem Bannalpbach durften nicht fehlen. Die Aufwartung machte eine liebliche Sennerin, die Sinsgäuerin genannt. Da war eitel Lust und Freude, das Alphorn wurde geblasen, getanzt wurde und gejohlt, und von den eines kaiserlichen Hofstaates würdigen Mählern her heisst die Bannalphöhe seither der Kaiserstuhl.

‏Der seltsame Jägersmann warb um die Hand der schönen Sinsgäuerin, und im Nachsommer, kurz vor der Talfahrt der Älpler, feierten sie droben auf dem Kaiserstuhl ihre Hochzeit. War das ein Festjubel! Ein kräftiger Urnersenn sprang hinunter in die Oberalp und kam mit einem sogenannten Männ- schlitten zurück. Zu Ehren des Tages wurde die Braut auf dem Schlitten über Oberfeld durch den Karren in die starre Wildnis der Wallenstöcke in eine festungsartig geformte Felspartie getragen, die seither den Namen die Schlösser führt. Die Hochzeitsleute beschlossen, zur Erinnerung des Tages alljährlich im Hochsommer einige Wochen in den Schlössern zuzubringen. Sie versorgten sich für ihren dortigen Lebensunterhalt mit einem reichlichen Vorrat von Gemsfleisch, das sie in einer natürlichen Felsenhöhle lufttrocken werden liessen.

‏Das Lotterleben machte aber die Älpler allzu genusssüchtig und träge. Sie vernachlässigten ihr Sennengewerbe und die Bewirtschaftung des Alpenbodens; daher kommt es, dass ein Fleck Weidland auf der Bannalp noch heute Fulenwasen heisst. Übermut und Verschwendungssucht nahmen immer mehr überhand, und weil die von dem geheimnisvollen Jägersmann stets reichlich unterhaltenen Älpler selber keine Not kannten, wurden sie hartherzig und verroht und wiesen die bei ihnen anklopfenden armen Leute mit Spott und Hohn ab. Trägheit und Sorglosigkeit liessen auf der Alp Sinsgäu eine sonst ertragreiche Alpenweide mit Erlenstauden, Trosslen genannt, überwuchern. Die Trosslen wurden von den ausgelassenen Älplern sodann in Brand gesteckt. Der dortige Boden heisst deshalb heute noch das Brändli.

‏Im Vorsommer wars; der Jägersmann und sein Weib schwelgten auf dem Kaiserstuhl mit den zu Gast geladenen Älplern wieder bei einem üppigen Mahle. Da tauchte plötzlich in ihrer Mitte ein Waldbruder auf. Erschrocken fuhren die Älpler auseinander und fragten den seltsamen Besuch: „Woher kommst du?" — „Ich bin der Waldbruder von der Steinalp," antwortete der unheimliche Gast, „der steinerne Waldbruder! Denn meine Steinalp war einst eine wasen- und blumenreiche Alp. Ich habe in schnöder Lust ihren Wert vernachlässigt, verschweigt und verprasst. Zur Strafe bin ich in einen Steinmann verwandelt worden. Einen Tag nur im Jahre darf ich mich freimachen und wandeln auf Alpgebiet, die Frevler zu warnen, die durch ihre Üppigkeit und Faulheit den heimischen Boden entehren!" Rauh fuhr der Jägersmann den Waldbruder an: „Wir brauchen deine Bergpredigt nicht, wir sind ein frei lustig Volk. Geh fort und verkriech dich wieder in den Stein, in den du gebannt bist!" Schwer wie ein Steinschlag traf des Waldbruders Faust die Achsel des Jägermannes: „So treffen dich Fluch und Strafe in gleichem Masse, wie ich sie erdulde!" Und der Waldbruder verschwand. Seither ist der wüste Jägersmann in einen spitzen Stein verwandelt, der noch heute zwischen dem Sättelistock und Rigitalstock gezeigt wird. Und an die einstige lustige Brautfahrt des unseligen Paares erinnert noch heute die ungangbare steile Felshalde des Schlittkuchens.

Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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