Der Ärmste von Giswil

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

‏In jener guten alten Zeit, als Giswil noch Richwil hiess, machte der Kilchherr und ein Hochweiser wohlgeborener Kilchenrat je länger je mehr die betrübende Wahrnehmung, dass die frommen Stiftungen, laut welchen den armen Leuten Brot und Käse ausgeteilt werden sollte, nicht mehr nach Sinn und Geist gehalten wurden, da niemand mehr das Kirchenbrot annehmen wollte. Der Kilchherr beschloss dem abzuhelfen. Es versammelten sich der Kilchherr und der wohlweise Kilchenrat, beratend, wie dieser Erscheinung vorgebeugt werden könne. Als der Kilchherr die Stiftbriefe verlesen und erläutert hatte, dass darin zugunsten der Ärmsten gesprochen sei, waren alle bald einig, dass nun der Ärmste von Richwil auszumitteln sei, dem das Kirchenbrod zukomme. Nach langem Hin- und Herraten konnten sie sich auf einen Familienvater auf Ächerli bei Rudenz einigen, und befriedigt über die Lösung der Angelegenheit verliessen sie mit gewichtiger Miene des Kilchherrn Haus. Der Läufer musste noch am selbigen Tage den ausgemittelten Ärmsten von dem Beschlusse in Kenntnis setzen.

‏Wie erschrak nun aber dieser Ärmste! Er, seine Frau und seine stolzen Töchter sollten sich künftighin vom Kirchenbrot ernähren! Umsonst war es, dem Läufer die gefüllten Korn- und Schnitzkästen zu zeigen; es nützte nichts, dass der Ächerlibauer sechs schöne Kühe im Stall hatte. Unser Ärmster schlug die Hände über dem Kopf zusammen und jammerte über das Unglück, das ihm widerfahren sei. Frau und Töchter durften schier nicht mehr zur Kirche gehen, da sie, die sich reich fühlten, nun als die Ärmsten des Kilchganges galten. Der Reichtum in der Gemeinde hob sich immer mehr. In schönen obstreichen Matten erstanden behäbige Bauernhäuser. Richwil wurde nun bald Schönwil geheissen.

‏Zur selben Zeit aber lebten in Schönwil einige Hexen, die den braven Bewohnern ihr Glück und ihre Wohlhabenheit missgönnten. Sie verschworen sich, Schönwil zu zerstören. An den Abhängen rissen sie den Erdboden auf, wühlten in des Teufels Namen darin herum, sodass das Wasser versickerte und Ribi an Ribi entstund. Auf allen Bergspitzen brauten sie grausige Hagelwetter, die, mit Wucht alles mit sich reissend, dem schönen Tale zustürmten und nach und nach die lachenden Gefilde in einen öden Schutt- und Trümmerhaufen verwandelten. Die Bauern von Schönwil hatten nun ihr Vieh und ihre Habseligkeiten, ihr Glück und Geld, verloren; statt fetter Kühe in saftigen Matten weideten nun einige hagere Geisslein auf mageren Weideplätzen. Schönwil wurde zu Geisswil, nun Giswil geheissen. Um den verderbenbringenden Hexen beizukommen, hat man auf alle Bergspitzen Kreuze gesetzt; aber auch heute noch sieht man die grossen Erdschlipfe und die Spuren früherer Verwüstung.

Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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