Der Melkstuhl

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Die Älpler hatten vom Ober- auf den Unter-Säss »gerobet«, und droben nichts vergessen, als einen schönen, neuen Melkstuhl, der dem Sennen gehörte. Der Senn bemerkte diess jedoch erst am Abend, als er melken sollte, konnte jetzt aber nicht auf den Obersäss laufen, und des Stuhles wegen das Melken versäumen. Das Melken ging seinen Gang, die Kühe zogen auf ihre Lager, die Knechte zündeten mitten in der Hütte das »Hengertfeuer« an, und über die Alpe lagerte sich rabenschwarze, stockfinstere Nacht. »Es ist doch unheimlich dunkel«, sagte der Zusenn, »heute Nacht würde ich nicht auf den Obersäss gehen, nicht um die schönste Kuh im Senntume.« »Nun das wäre etwas«, entgegnete der Küher. Darauf sahen die Andern ihren Toni, so hiess der Küher, gross an, denn sie trauten ihm so vielen Mut nicht zu; und es meinte jetzt der Senne: »Gut, Toni, du könntest grad hinauf und mir meinen Melkstuhl holen, und dann soll die schönste Kuh im Senntume dein sein; aber warten musst du bis Mitternacht.« »Es gilt«, sagte der Küher, und entschloss sich, den Gang zu wagen.

Als nun die zwölfte Stunde kam, brach Toni auf. Noch schwärzer war die Nacht geworden, und der Wind heulte in schauriger Melodie durch die Finsternis hin.

Toni war nicht weit gegangen, als er, trotz der Dunkelheit, einen unheimlich aussehenden Mann auf sich zukommen sah, der jetzt dicht vor ihm stand, und ihm sagte, er solle es sich nicht träumen lassen, zurück zu kehren, sonst dürfte es ihm nicht gut gehen. Jetzt gereute es doch den Küher, den Gang gewagt zu haben.

Der schwarze Unbekannte gebot ihm, hinauf in die Hütte zu gehen, und dort sitze Einer auf dem Melkstuhl des Sennen; gelinge es ihm nun, in drei »Sträcken« den Stuhl zu nehmen, so sei's gut, sonst aber habe er die längste Zeit gelebt.

Mit diesem Trost wanderte Toni weiter in die pechschwarze Nacht hinein, der Unbekannte aber verschwand.

Als er nun auf den Obersäss und an den Stafel kam, hörte er in der nahen Bergseite Jodeln und Schellengetöne, gerad ob jemand die Kühe sammeln wollte, und doch waren dieselben auf einer ganz andern Seite der Alp.

Mit klopfendem Herzen betrat Toni die Hütte; in derselben war's eben so finster als draussen; nur gegen die Kellertüre zu war's etwas lichter, und im Halbdunkel sah er dort einen Mann auf dem Melkstuhle sitzen und sich kämmen. – Unserm Küher wollte das Herz in die Schuhe fallen, denn dieser geisterhafte Mann sah aus, schrecklicher als der leibhaftige Tod. Doch besann sich Toni nicht lange, trat hinzu, fasste dann das Stuhlbein, und tat einen kräftigen »Strack«; allein der Stuhl blieb felsenfest; dem Toni wurde es grün und gelb vor den Augen. – Beim zweiten Stracke blieb der Stuhl ebenfalls fest, hatte aber doch so »eh'gen glötterlet«. – Den Angstschweiss auf der Stirne, tat Toni einen dritten, fast übermenschlichen Strack, und hielt nun den Stuhl frei in seinen Händen. Der andere aber sagte: »Hättest du in den drei Malen den Stuhl mir nicht entreissen mögen, so hätte ich dich zerrissen wie ›z'Gstüpp an der Sunna‹; so aber ist's gut, du hast den Preis verdient, aber noch nicht erhalten.«

Fröhlicher als er gekommen, ging nun Toni weg, dem Untersäss zu, wo er ohne weitere Unbilden ankam. Die Übrigen waren seiner Rückkehr begierig; er erzählte ihnen seine Erlebnisse, und erndtete gebührendes Lob für seine Standhaftigkeit und schliesslich doch glücklichen Gang.

Und es vergingen Tage um Tage, und der Herbst kam heran, und mit ihm die Zeit, da wieder von Alpe gefahren wurde. – Da erinnerte der Küher den Sennen an seine Verpflichtung gegen ihn. Dieser aber bedeutete ihm, er möchte denn die im Spasse hingeworfenen Worte nicht als ernst gemeint auffassen, und die Hoffnung auf die Heerkuh fallen lassen. Dazu verstand sich Toni aber nicht, und wollte es nötigenfalls auf einen Richterspruch ankommen lassen. – Der Handel kam wirklich vor Gericht; hier stellte sich denn auch ein altes, graues Männlein ein, welches am Ofen stehend, den Verhandlungen zuhörte. Der Senn wusste durch Lug und Trug seine Sache zu führen, dass Jedermann glaubte, er müsse gewinnen. Da trat das alte Männlein vor ihn hin, gab einem Kieselstein, den es in der Hand hielt, einen »Schmutz«, dass der Stein sofort in Fünklein, wie Mehl so fein, zerstob, und sagte dabei zum Sennen: »Gerade so werde ich es dir machen, wenn du nicht Wort hältst dem Küher.« – Da sah denn der Senn, dass hier eine mächtigere Hand ins Recht greife; er musste seinem Küher Wort halten, und ihm die Heerkuh geben.

 

 

Quelle: Dietrich Jecklin, Volkstümliches aus Graubünden, 3 Teile, Zürich 1874. Chur 1876, Chur 1878 (Nachdrich Zürich: Olms, 1986), S. 40-42.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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