Der verräterische Vogt

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

In der Nähe des Dorfes Beurnevésin gab es im Mittelalter eine Burg mit Holzbrücke und einer kleinen Kapelle. Dort lebte vor langer Zeit Henri de Beurnevésin. Die Gegend war fruchtbar und der Weizen gedieh prächtig. Im Spätsommer wurde er geerntet und in der Mühle von Beurnevésin zu gutem Weizenmehl gemahlen. Wie es damals üblich war, musste ein Teil der Ernte an den Grafen Thiébauld de Fenis von Neuchâtel abgegeben werden. Henri de Beurnevésin jedoch verweigerte dem Grafen den Gehorsam und behielt die Ernte für sich und das Dorf. Er wusste genau, dass der Graf das nicht dulden würde und wirklich: der Zorn des Grafen Thiébauld de Fenis war gross. Er sandte Truppen mit Soldaten, die sollten die Burg belagern. Henri de Beurnevésin aber hatte Wachen auf die Burgzinnen geschickt. Es waren Männer aus dem Dorf, jung wie alt, und jeder sollte einmal Wache halten.

So war eines nachts ein junger Mann an der Reihe. Manche sagten, er wäre nicht ganz gescheit, aber wer weiss das schon. Man erzählt sich, dass an diesem Tag der Burgvogt verschwunden war. Manch einer behauptete, er hätte sich davongeschlichen, um seinen Herrn, Henri de Beurnevésin, zu verraten. Genau an diesem Abend also, stand der junge Mann an den Burgzinnen und spähte in die dunkle Nacht. Um Mitternacht hörte er ein Knarren auf der Holzbrücke und sah in der Dunkelheit bewaffnete Männer, die über die Brücke zur Burg schlichen. Als die Angreifer am Tor zur Festung angelangt waren, erkannte er den VogtDieser führte  die Truppe  an. Er rief dem jungen Mann flüsternd zu: «He da, Junge, willst du dein Glück machen?»

«Ja, was soll ich tun?»

«Öffne uns leise das Tor. Ich gebe dir dafür hundert Goldtaler!»

«Hundert Goldtaler! Abgemacht, ich komme herunter», antwortete der junge Mann, stieg hinunter und öffnete leise das Tor. Der Vogt wollte eintreten, doch der junge Mann rief: «Gebt mir erst das Geld!»

Der Vogt überreichte ihm einen großen Geldbeutel. Der junge Mann nahm den Beutel und sprach: «Tretet ein!»

Der Vogt trat durch das Tor und in diesem Moment schloss der junge Mann das Tor so schnell zu, dass die Soldaten ausgesperrt waren, dann rief er: «Zu den Waffen!»

Sogleich kamen die anderen Wächter herbei und packten den Vogt. Auch der Burgherr wurde von dem Lärm aufgeschreckt und schickte seine Männer aus, die Angreifer zu verjagen. Was für ein Kampf das war! Im Morgengrauen befahl Henri de Beurnevésin die Brückenpfeiler zu zerstören. Viele Soldaten starben, als die Brücke zusammenbrach und sie mit sich in die Schlucht riss. Doch Henri de Beurnevésin hatte den Kampf gewonnen. Seine Wachen wurde belohnt, der Vogt bestraft und der junge tapfere Mann aus dem Dorf zum neuen Burgvogt erhoben.

Aber als sich Henri de Beurnevésin auch in den folgenden Jahren weigerte, seinem Lehnsherrn Gehorsam und Treue zu leisten, liess Graf Thiébaud de Fenis die Burg von seinen Soldaten niederbrennen. Heute ist nicht viel mehr übriggeblieben als ein paar moosüberwachsene Steine der Ruine.

Nach: Le bailli félon, aus: Joseph Beuret-Frantz, Sous les vieux toits, Légendes et contes jurassiens. Porrentruy, 1949. Aus dem Französischen übersetzt, und neu gefasst unter Mitwirkung von Michèle M. Salmony Di Stefano © Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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