Der gespenstige Barbier

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Ein Wanderer hatte schon in fünf Gasthäusern eine Nachtherberge gesucht und keine gefunden. Eindringlich schilderte er nun im sechsten seine Not und bat, ihn nicht abzuweisen. Der Wirt aber sagte, alle Zimmer seien besetzt bis auf eines, und da sei es nicht geheuer. Jeder, der in diesem Raume übernachtet habe, sei am Morgen verschwunden gewesen. Das Zimmer möchte er doch sehen, meinte der Wanderer, und der Wirt zeigte es ihm. Es war ein Zimmer mit Waschkommode, Tisch, schönen Stühlen und einem Matratzenbett. «So ein schönes Zimmer und doch unbewohnbar!» sagte der Fremdling. «Ob er darin schlafen dürfe?» Der Wirt meinte, wenn er sich nicht fürchte und die Gefahr auf sich nehmen wolle, möge er da übernachten. Der Wanderer blieb also im Zimmer. Er schlüpfte zwischen Ober- und Untermatratze, gückelte dazwischen hinaus und wartete. Bis Mitternacht blieb alles still. Sobald es aber Zwölfe geschlagen hatte, hörte er jemand durch den Gang daherkommen. Die verschlossene Zimmertüre ging auf, und herein trat einer mit einem Reiseköfferchen in der Hand. Das stellte er auf den Tisch, öffnete es und entnahm ihm ein Rasiermesser, Seife, Bürste, Haarschneidemaschine, kurz all das, was ein Barbier benötigt. Jetzt wandte er sich gegen das Bett und winkte stumm dem Gaste, er solle kommen. Der erschrak, kroch aber zwischen seinen Matratzen hervor. Der Barbier lud ihn schweigend ein, sich zu setzen. Nun seifte ihn der Barbier ein und rasierte ihn, schnitt ihm die Haare zuerst mit der Maschine und rasierte sie noch hinterdrein kahl und führte ihn zuletzt, ihn am Arme führend, zum Spiegel, wo er sich beschauen konnte. Da kam es dem Wanderer in den Sinn, er könnte es dem andern auch so machen. Er nahm ihn also am Arme, führte ihn zum Stuhl, hiess ihn sitzen, rasierte ihm Schnurr- und Backenbart und auch den Schädel ganz kahl und führte ihn zuletzt ebenfalls vor den Spiegel. Da sagte er, der bisher stumm gewesen: «Jetzt kann ich reden und dir danken; du hast mich erlöst. Keiner hat es bisher gewagt, mir mit gleicher Münze heimzuzahlen. Zum Spott und Hohn habe ich in meinem irdischen Leben es einmal einem Menschen so gemacht wie diese Nacht dir. Auch habe ich viel Geld und Gut zusammengeschachert und versteckt. Komm mit mir!» Der Geist packte seine Sachen zusammen und führte den Wanderer in einen Keller hinunter, wo viel Geld auf einem Tische lag, das dieser zusammenpackte, worauf der Geist verschwand.

«Das hat allemal der Vater erzählt.»

 

Aus: P. Keckeis, M. Waibel, Sagen der Schweiz. Bern, Zürich 1986.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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