«Nun ist wieder die Zeit, da die Kutsche kommt», pflegen die Leute am Stalden zu sagen, wenn eine der heiligen Zeiten naht. Wenn Mitternacht vorüber ist, dann hört man von der obern Stadt her eine schwere Kutsche sich nahen.

Laut rollen die grossen Räder über das holperige Pflaster. Ein buckliger Kutscher lenkt zwei weisse Pferde. Ein noch buckligerer Diener steht hinten auf. Sie fahren den Stalden hinunter. Unten angekommen, entsteigt eine elegante, totenblasse Dame dem Wagen. Langsam, ohne Begleitung schreitet sie der Matte zu. Die Kutsche aber bewegt sich ebenso langsam gegen den Altenberg. Nach einer Stunde kehrt die Dame zurück. Zu gleicher Zeit naht sich von der andern Seite her die Kutsche. Die Dame steigt wieder ein, ohne ein Wort zu reden, ohne den Kopf zu wenden. Wortlos greift der Kutscher in die Zügel. Schwer steigt der Wagen den Stalden wieder hinan, als hätten die Pferde eine grosse Last zu ziehen. Immer leiser tönt das Räderrollen, und plötzlich ist alles wieder verschwunden. Wer ist die Dame? Was führt sie her seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten?

Aus: Hedwig Correvon, Gespenstergeschichten aus Bern, Langnau 1919

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch