Ein unfreundliches Fraueli

Land: Schweiz
Region: Stadt Bern
Kategorie: Sage

Jedes Mal, wenn das Wetter ändert, zeigt sich in einem Hause der innern Stadt ein altes Fraueli, das kaum so gross wie ein neunjähriges Kind ist und ein Häubchen trägt, wie alte Frauen sie früher getragen. Mit Vorliebe macht es sich beim Feuerherd zu schaffen. Bald schreitet es über den Estrich, bald ist es im Keller zu sehen; dann wieder schreckt es die Schläfer aus ihrem ersten Schlafe auf, weil es durch die Schlafkammer geht und die Bretter unter sich krachen macht. Besonders gern zeigt es sich den Kindern. Wehe aber, wenn jemand ihm den Weg zu vertreten sucht, und sei es auch, ohne es zu wollen. Mit aller Kraft hält es ihm die Haustüre zu, so dass selbst ein starker Mann sie nicht zu öffnen vermag. Fauchend wie eine wilde Katze springt es ihm ins Gesicht, fährt ihm mit allen Fingern über die Wangen, pustet ihn an, dass ihm der Kopf geschwollen wird.

Das Haus, in dem es spukt, gehörte zu einem Kloster. Das Fraueli hätte die Küche besorgen sollen, wird erzählt. Was aber treibt es immer wieder aus seinem Grabe heraus und lässt es nie zur Ruhe kommen? Ein Kindsmord, behaupten die einen, Veruntreuungen, die andern. Man hat es schon niesen hören, aber keiner noch hatte den Mut, ihm Gesundheit zu wünschen, womit der Bann von ihm gewichen und es zur Ruhe gekommen wäre. Es hatte auch noch keiner die Kraft, die Fragen an das kleine Gespenst zu richten, die man sonst für Gespenster bereit hat:

«Was habt Ihr getan, dass Ihr nicht am richtigen Orte seid?»

Worauf dann das Gespenst weit ausholend zu erzählen beginnt und ein schmerzliches Stöhnen anhebt. Um dieses zu Ende zu bringen, fragt man alsdann:

«Wie war Euch, als Leib und Seele auseinandergingen?»

Die Frage ist furchtbar, und der Geist bricht alsdann in ein grässliches Schreien aus. Dies erlöse ihn von seinem Banne, behaupten die einen, und er hätte inskünftig seine Grabesruh’. Als eine Pein, die man dem Gequälten zufügt, fassen andere diese Frage auf und unterlassen sie aus diesem Grund.

Aus: Hedwig Correvon, Gespenstergeschichten aus Bern, Langnau 1919

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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